Kinder und Jugendliche mit Potenzial erkennen und für den Übertritt in die nächsthöhere Bildungsstufe stärken. Dies ist ein wichtiger Beitrag zum individuellen Schulerfolg. Mentoringprogramme können in Zusammenarbeit mit den Schulen unterstützend wirken.

Text: Dominique Braun
Empfohlen für Zyklus 2

 

Beschreibung der Idee

 

«Wir möchten den Kindern Wind unter den Flügeln verleihen», sagt Gabriella Sontheim, Projektleiterin von «Fit für die Sek».


Das Mentoringprogramm «Fit für die Sek» bietet Schülerinnen und Schülern von vier Primarschulen im Stadtzürcher Schulkreis Glattal Unterstützung an. Ziel ist, die Lernenden in ihrem Potenzial zu fördern und insbesondere auch ihr Selbstwertgefühl zu stärken. Wenn dadurch auch noch der Übertritt in ein anspruchshöheres Niveau der Sekundarstufe möglich wird, umso besser.

 

«Unser Schulsystem ist so ausgerichtet, dass der Bildungserfolg stark von der Unterstützung zu Hause abhängt. Dadurch werden einige Kinder benachteiligt und dies möchten wir ein Stück weit auffangen», so Gabriella Sontheim weiter. 


 

"Fit für die Sek". Aufnahme Dominique Braun
"Fit für die Sek". Aufnahme Dominique Braun

In der Bildungswissenschaft herrscht Einigkeit darüber, dass Übergänge für die individuelle Bildungskarriere relevant sind.(1) Nach wie vor sind in der Schweiz Kinder und Jugendliche mit einem sogenannten Migrationshintergrund und/oder aus nicht privilegierten Verhältnissen in anspruchsvolleren und prestigeträchtigeren Ausbildungsgängen untervertreten.(2) (vgl. dazu die empirischen Erkenntnisse zu Schulerfolg in der Schweiz . Verschiedene Ansätze erklären aus unterschiedlicher Perspektive, wie es zu einer Unterrepräsentation kommt (vgl. dazu die Erklärungen zu Schulerfolg. Gemeinsam ist diesen Ansätzen, dass sie Übergänge, bei denen Selektionsentscheidungen getroffen werden, als zentral für die Bildungsbenachteiligung bestimmter Gruppen betrachten. In der Schweiz handelt es sich dabei hauptsächlich um die Übergänge in die Sekundarstufe I und II.


Schulen, Institutionen, Gemeinden oder Kantone können Kinder und Jugendliche aus nicht privilegierten Verhältnissen bei den Übergängen zusätzlich unterstützen, indem sie spezifische Mentoringprogramme anbieten.
 

Das Ziel der Mentoringprogramme besteht darin, die Lernenden so zu unterstützen, dass sie einen Übergang und die daran anschliessende Ausbildungszeit erfolgreich meistern. Bei einigen Programmen geht es darum, dass die Lernenden eine anspruchshöhere Bildungsstufe erreichen, z.B. ein höheres Anspruchsniveau in der Sekundarschule oder den Besuch des Gymnasiums bzw. der Berufsmittelschule. Andere Programme – wie «Fit für die Sek» – haben v.a. zum Ziel, die Lernenden dort noch zusätzlich zu unterstützen, wo sie stehen und so optimal auf den Übertritt vorzubereiten.  Meist verschwinden Hürden mit einem erfolgreichen Übergang in die nächsthöhere Stufe nicht.


Deshalb dehnen einzelne Programme das Angebot zeitlich aus, um den Verbleib auf der erreichten Stufe zu sichern.
 

Fit für die Sek". Aufnahme Dominique Braun
Fit für die Sek". Aufnahme Dominique Braun
Fit für die Sek". Aufnahme Dominique Braun
Fit für die Sek". Aufnahme Dominique Braun

Im Projekt «Fit für die Sek» treffen sich die Schülerinnen und Schüler bereits ab der 5. Klasse an 30 Samstagvormittagen pro Jahr für den zusätzlichen Unterricht. Trainerinnen geben jeweils einen Input zu Sprache oder Mathematik und unterstützen bei den individuellen Hausaufgaben, die die Schülerinnen und Schüler aus der Regelklasse mitbringen. Allerdings soll es kein Drill-Programm sein. «Einfach immer noch mehr Schule kann für die Kinder irgendwann zu viel werden und zeigt dann wenig Wirkung», meint Gabriella Sontheim. Deshalb stehen auch immer wieder Ausflüge auf dem Programm, z.B. ein Museumsbesuch, Einblick in verschiedene Berufe oder ein OL mit Übungen zu Zahlen durchs Stadtquartier. Die Welt erkunden und das Weltwissen erweitern, das ist hier der Fokus – ein wichtiger Faktor in Bezug auf Schulerfolg.  Neben den fachlichen Kompetenzen hat das Projekt auch zum Ziel, die überfachlichen Kompetenzen zu fördern und das Selbstwertgefühl zu stärken. Mit einem besseren Selbstwertgefühl verändert sich erfahrungsgemäss oft auch das negative Selbstbild und wirkt so beispielsweise Prüfungsangst entgegen.
 

Aufgrund der Erkenntnis, dass es mit vollbrachtem Übertritt nicht getan ist und der Verbleib auf einer erreichten Stufe manchmal nur mit zusätzlicher Unterstützung gelingt, bleiben einzelne Schülerinnen und Schüler auch während der Sekundarschule im Programm und werden von einer ehemaligen Sekundarlehrperson betreut. Ein anderes Programm – Chance Wiedikon – hat für die Probezeit im Gymnasium ein Gotte- / Göttisystem eingerichtet. Schülerinnen und Schüler, die das Programm zu einem früheren Zeitpunkt besucht haben, werden zu Gotte oder Götti von Neulingen und geben ihre Erfahrungen und ihr Wissen weiter.
 

 «Fit für die Sek» plant zudem drei Unterstützungstage am Ende der Sommerferien. Sontheim sagt: «Einige Kinder vergessen während der langen Pause vieles. Mit diesem zusätzlichen Angebot ermöglichen wir ihnen einen gelungenen Start im neuen Schuljahr.»
 

Die Trainerinnen sind Lehrpersonen oder Studierende der PH Zürich. Sie arbeiten alle eng zusammen. Im Anschluss an das Training vom Samstagvormittag planen sie jeweils gemeinsam den Input für die kommende Woche. Auch treffen sie sich regelmässig zu Sitzungen. Die Studierenden der PH Zürich leisten einen Teil ihres Einsatzes im Rahmen eines Wahlmoduls und erhalten dafür ECTS-Punkte. Die restlichen Einsätze werden bezahlt. Die Projektleiterin begleitet sowohl den Einsatz als auch den Leistungsnachweis, den die Studierenden im Rahmen dieses Moduls schreiben.
 

Zweimal jährlich findet ein Modul mit den Eltern statt. Eine Fachperson bietet einen Input zu Lernerfolg, Umgang mit sozialen Medien, Freizeitgestaltung, Pubertät oder Konsum. Anschliessend folgt eine Diskussion, was sprachlich nicht immer einfach ist. Es gehe in diesen Modulen auch um die Wertschätzung der Eltern und darum, allfällige Ängste und Überforderung abzubauen. «Viele Eltern wollen für ihre Kinder Erfolg und dies führt manchmal zu grossem Druck, der kontraproduktiv ist», weiss Sontheim aus Erfahrung, «diesem versuchen wir mit unserem Unterstützungsangebot zu begegnen und das hilft oft.»


 

So kann es gelingen

 

Inhalte
 

Ein Mentoringprogramm bietet Unterstützung in folgenden Bereichen:

  • Lern- und Arbeitsstrategien vermitteln

  • Bestimmte Aufgabenformate vermitteln, z.B. für die Aufnahmeprüfung ins Gymnasium

  • Wissenslücken aufarbeiten

  • Kompetenzen, die die nächste Stufe voraussetzt, trainieren

  • Bildungssprache aufbauen

  • Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit steigern


Insbesondere für Kinder und Jugendliche aus nicht privilegierten Verhältnissen ist es wichtig, dass sie Lern- und Arbeitsstrategien explizit erarbeiten können. Die Schule setzt solche Strategien oft als selbstverständlich vorhanden voraus. Gerade in höheren Schulstufen hängt der Schulerfolg auch davon ab, ob jemand über solche Strategien verfügt oder nicht.

Kompetente Leitung
 

Mentorinnen und Mentoren vermitteln sehr unterschiedliche Kompetenzen (siehe oben). Dafür brauchen sie selbst ein breites fachliches Wissen und unterschiedliche didaktisch-methodische Kompetenzen. Ihre Unterstützung erfolgt, um Bildungsbenachteiligungen entgegenzuwirken. Deshalb kennen sie idealerweise auch die Mechanismen, die zu diesen Benachteiligungen führen können (vgl. dazu die Erklärungen zu Schulerfolg). Es sind hohe Ansprüche, die Mentorinnen und Mentoren erfüllen müssen, weshalb sie auf Weiterbildungen, Coachings und Austausch angewiesen sind. Dies gilt insbesondere für Studierende. «Sie brauchen auch ein Bewusstsein, wie sie im Unterricht an die Erfahrungswelt der Kinder anknüpfen können», sagt Gabriella Sontheim.

Sorgfältige Auswahl der Teilnehmenden
 

In den Mentoringprogrammen geht es darum, vorhandenes Potenzial zu stärken, das Schülerinnen und Schüler ohne zusätzliche Unterstützung vermutlich nicht entfalten könnten. Diejenigen Personen, die die Lernenden auswählen, brauchen daher Diagnose- und Beurteilungskompetenzen, insbesondere bzgl. prognostischer Beurteilung.

Jegliche Art von Unterstützung, auch wenn sie gut gemeint ist, birgt auch das Risiko von Zuschreibungen und Stigmatisierungen. Es kann schnell der Eindruck entstehen, dass beispielsweise Eltern nicht genügen. Dies ist insbesondere in der Kommunikation mit den Schülerinnen und Schülern und deren Eltern zu beachten. Wenn Programmleitende und Lehrpersonen auf das vorhandene Potenzial fokussieren, vermeiden sie solche Stigmatisierungen.

Zusammenarbeit mit Schulen
 

Die Information der Schulen und insbesondere der Lehrpersonen über vorhandene Mentoringprogramme ist zentral, damit potenzielle Kandidatinnen und Kandidaten erreicht werden. Idealerweise ist sowohl die Information als auch die Auswahl der Schülerinnen und Schüler in der Schule fix institutionalisiert. Im vorliegenden Beispiel von «Fit für die Sek» tragen die Schulleitungen das Programm stark mit. Dies bedeutet, dass die Lehrpersonen verpflichtet sind, in Frage kommende Schülerinnen und Schüler aus ihrer Klasse auszuwählen. Eine Verbindungslehrperson ist zudem für die Koordination des Angebots im Schulhaus und den Kontakt zu «Fit für die Sek» verantwortlich.
 

Damit Programm und Schule konstruktiv zusammenarbeiten können, braucht es auch eine Vertrauensbasis. Die Erfahrung zeigt zudem, dass es hilfreich ist, wenn Lehrpersonen das Projekt als Ergänzung und nicht als Konkurrenz wahrnehmen. 
 

Mentoringprogramme können einzelne Schülerinnen und Schüler gezielt unterstützen und dadurch deren konkrete Bildungschancen erhöhen. Ergänzend braucht es auch innerhalb der Schule Überlegungen, wie Schulleitungen und Lehrpersonen die Bildungschancen von Schülerinnen und Schülern erweitern können (vgl. dazu Ideen zu Schulerfolg).

Organisation
 

Die Angebote sind je nach Trägerschaft des Programms unterschiedlich organisiert. Meist besuchen die Teilnehmenden das Angebot ausserhalb der Schulzeit. Denkbar wäre auch eine Integration in den regulären Schulbetrieb.

Die meisten Programme wählen die Schülerinnen und Schüler nach vorgegebenen Kriterien aus. Massgebend dabei sind deren Potenzial und Motivation sowie die finanzielle Situation der Eltern. Zentral ist, dass die Kinder die Angebote freiwillig besuchen und das Einverständnis der Eltern vorliegt. Die Klassenlehrpersonen nehmen bei der Auswahl eine wichtige Rolle ein, weil sie bestimmte Schülerinnen und Schüler vorschlagen oder diese auf vorhandene Programme aufmerksam machen.


 

  1. (1) vgl. Weitkämper 2019, S. 10.

    (2) vgl. Becker & Schoch, 2018, S. 41–43, 46–49. 

Materialien und Links

Podcast Chancegrächter, Episode 3 «Der Übertritt»

Allianz Chance+ – Zusammenschluss verschiedener Förderprogrammen und den damit verbundenen Institutionen: https://chanceplus.ch/

Übergang Sekundarstufe I
Chance Wiedikon: https://chancekwi.ch/
Fit für die Sek: http://www.fitfuerdiesek.ch/
Future kids:https://www.stadt-zuerich.ch/aoz/de/index /integration/future_kids.html

Übergang Sekundarstufe II
Chance Winterthur: https://chancewinterthur.ch/
ChagALL Zürich: https://www.unterstrass.edu/innovation/chagall/
ChagALL AG: https://www.kanti-baden.ch/chagall/
LIFT – von der Schule in die Berufswelt: https://jugendprojekt-lift.ch/

Während Sekundarstufe II

ChaBâle: http://45plus.blog/chabale-2-0-das-projekt-hat-begonnen/
Chance KSR Luzern : https://ksreussbuehl.lu.ch/ausbildung/chancengerechtigkeit
Chance.Bildung.Bülach: https://www.chancebildungbuelach.ch/

 

Verwendete Literatur
 

Becker, R. & Schoch, J. (2018). Soziale Selektivität. Empfehlungen des Schweizerischen Wissenschaftsrates SWR.

Weitkämper, F. (2019). Lehrkräfte und soziale Ungleichheit. Eine ethnographische Studie zum un/doing authority in Grundschulen. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

Kontakt


Gabriella Sontheim, Primarlehrerin, MA Erziehungswissenschaften, Projektleiterin Fit für die Sek
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Dominique Braun
Dozentin, PH Zug
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