Leseanlässe in der Bibliothek sind eine niederschwellige Möglichkeit, die Literalität von Lernenden zu fördern. Dazu gehört z.B. einen Zugang zur Welt der Bücher und Bibliotheken zu verschaffen, was Lehrpersonen mit Leseanlässen erreichen zu können. Die Kinder hören Geschichten und werden selbst aktiv. Sie entdecken neue Bücher, lesen, tauschen sich aus und kreieren eigene Texte. Alle können sich mit unterschiedlichen Kompetenzen beteiligen. Leseanlässe sind für verschiedene Schulstufen geeignet, lassen sich wiederholen und adaptieren. In altersdurchmischten Gruppen unterstützen die Älteren die Jüngeren.
Text: Milena Bieri
Empfohlen für Zyklus 1 und 2
Idee Bildergeschichte Zilly und Zingaro:
AG Leseförderung, Schule Littau Dorf
Lautes Singen erklingt aus der sonst so stillen Bibliothek. Die gemischte Kindergruppe mit Schülerinnen und Schülern der 1. bis 4. Klasse singen lautstark das Hexenlied ‘Homba mura’ mit, welches die meisten Kinder schon aus dem Musik- und Bewegungsunterricht kennen. So eingestimmt zum Thema Hexerei liest eine Lehrperson die Geschichte von Zilly und Zingaro vor. Die Kinder hören gespannt zu, welche Abenteuer Zilly und Zingaro im Buch ‘Der Ritt auf dem Zauberstab’ erleben. Dabei sitzen sie in der Leseecke der Bibliothek und die Lehrperson illustriert zusätzlich die Geschichte, indem sie Bilder und Zeichnungen zeigt. Die Sequenz ist lebendig und interaktiv, weil die Lehrperson Fragen und Anmerkungen aufnimmt und diskutiert. Die Kinder haben viele Ideen, wie Zilly und Zingaro noch rechtzeitig zu einem neuen Zauberstab kommen, den Zilly für eine Vorführung an einem grossen Fest benötigt.
Anschliessend führt die Lehrperson einen Zaubertrick mit dem dazugehörigen Zauberspruch vor. Die Kinder sind fasziniert und viele wollen sogleich den Zaubertrick erlernen. Danach stehen für die Kinder verschiedene Möglichkeiten bereit, sich in das Thema Zauberei zu vertiefen. In Gruppen wechseln die Kinder von Posten zu Posten. Einige Kinder vertiefen sich in einer Bibliotheksecke in verschiedene Zilly und Zingaro Geschichten und andere Hexen- und Zauberbücher. Andere Kinder schreiben oder zeichnen je nach Möglichkeiten ihre eigenen Hexengeschichten in ein Mini-Buch. Ältere und jüngere Kinder sitzen dabei nebeneinander.
Es entwickeln sich Gespräche zwischen den Kindern, die älteren Kinder unterstützen die Jüngeren beim Schreiben. Bei einem anderen Posten liegen Faltanleitung und Material für den Zaubertrick bereit. Hier hilft eine Betreuungsperson denjenigen Kindern, die beim Lesen der Anleitung und der Umsetzung Unterstützung benötigen. Die Kinder führen sich gegenseitig den eingeübten Zaubertrick vor und üben dabei auch, den Zauberspruch korrekt aufzusagen. Der Zauberspruch liegt aufgeschrieben auf Zetteln bereit. Auf einem weiteren Tisch sind verschiedene Spiele zum Thema Zauberei ausgelegt, welche die Kinder miteinander oder alleine spielen können. Dazu verteilen sie sich in der Bibliothek und im Korridor.
Zum Abschluss sammeln sich Kinder und Lehrpersonen wieder in der Leseecke der Bibliothek. Gemeinsam halten sie Rückschau. Einige Kinder getrauen sich vor Publikum den eingeübten Zaubertrick vorzuführen. Andere Kinder möchten eine Faltanleitung und Papier mitnehmen, um selbständig noch weitere Zaubertricks zu kreieren oder weiter zu üben. Bevor die Kinder nach Hause gehen, unterschreiben sie auf einem Blatt Papier. Dieses klebt die Lehrperson anschliessend in das Leseanlass-Buch (vgl. weiter unten) der Schule. Wer mag, darf sich aus dem Hexentrank, den Zilly gebraut hat, einen Frosch oder einige Spinnenbeine mitnehmen.
Literalität hat zwei zentrale Bedeutungen: Einerseits ist Literalität grundlegend für die Teilhabe an der Gesellschaft, da Wissen in Texten gespeichert und weitergegeben wird. Zum anderen bezeichnet Literalität die Fähigkeit, zu lesen und zu schreiben. «Mit dem Lesen und Schreiben sind (…) emotionale, soziale, kognitive und sprachliche Kompetenzen verbunden, die für den Umgang mit Schrift und Text erforderlich sind». (1) Damit es gelingt, die Literalität der Kinder nachhaltig zu fördern, sind unabhängig vom Thema des Leseanlasses, folgende Punkte bedeutungsvoll:
Bei jedem Leseanlass werden die Kinder selbst aktiv: Sie lesen, sprechen, zeichnen und schreiben zu einem Thema, welches sie interessiert. So erweitern sie ihre Kompetenzen in verschiedenen Bereichen wie dem Erwerb der Lesefertigkeiten, Schreibfertigkeiten oder auch der Kreativität. Eine weitere Möglichkeit die Schülerinnen und Schüler verstärkt zu aktivieren, bilden eigene Beiträge an Leseanlässen. Beispielsweise können die Kinder Geschichten vorbereiten und am Anlass vorlesen. So gestalten die Schülerinnen und Schüler Leseanlässe aktiv mit und Lehrpersonen treten in den Hintergrund, moderieren, unterstützen und begleiten. Es bewährt sich, die jeweiligen Schülerinnen und Schüler vorbereitend zu coachen. Die Lehrpersonen geben Tipps und Tricks für das Vorlesen und ihren Auftritt. Kinder, welche ihren Mitschülerinnen und Mitschülern in der Bibliothek zuhören, werden motiviert, auch einmal in die Rolle der Vorleserin oder des Vorlesers zu schlüpfen.
Leseanlässe ritualisieren: Einige Anlässe wie beispielsweise ein Adventslesen (siehe unten) werden jedes Jahr durchgeführt. So kennen viele ältere Kinder das Adventslesen bereits und besuchen den Anlass jedes Jahr. Die Kinder wissen dann jeweils schon ganz genau, wie der Anlass abläuft und freuen sich auf die Geschichten sowie die leckeren Kekse und den warmen Tee, welche die Kinder nach dem Adventslesen geniessen. Leseanlässe als Ritual helfen Hürden für eine Teilnahme abzubauen, da die Kinder das Format und die leitenden Lehrpersonen bereits kennen.
Interessen der Kinder miteinbeziehen: In der Bibliothek der Schule Littau Dorf hängt eine Pinnwand, an welcher Neuigkeiten wie neu eingetroffene Bücher, anstehende Leseanlässe etc. festgehalten werden. Hier können die Kinder auch ihre Bücherwünsche angeben. Diese Literaturwünsche zieht die AG Leseförderung in die Planung der Leseanlässe mit ein. So plant die AG Leseförderung jeweils Leseanlässe mit neu eingetroffenen Büchern. An diesen Anlässen stöbern die Kinder exklusiv in den neuen Büchern, da diese noch nicht für die Ausleihe freigegeben sind.
Verschiedene Sprachen miteinbeziehen: Leseanlässe eignen sich gut, um verschiedene Sprachen einzubeziehen. Der SBD Bibliotheksservice oder auch Bibliomedia liefern mehrsprachige Bücher an Schulen. Zudem bieten sie mehrsprachige Bücherabonnemente an. Lehrpersonen können z.B. Bücher in verschiedenen Sprachen zur Verfügung stellen - im hier beschriebenen Beispiel zum Thema Zaubern. Vielleicht kennen die Kinder auch Zaubersprüche in anderen Sprachen. Dann können sie diese aufsagen. Im Idealfall stellen Lehrpersonen einfache Zaubersprüche in verschiedenen Sprachen bereit. Eine weitere Möglichkeit sind sprachunabhängige Zaubersprüche. Der Zauberspruch «Abra ka dabra, sim sala bim» beispielsweise ist schnell eingeübt und lässt sich nicht einer Sprache zuordnen. Gerade beim Zaubern sind auch Phantasiesprachen willkommen und ermöglichen es allen Kindern, sich zu beteiligen. Auch in Kleingruppen können die Kinder Zaubersprüche und Tricks vorführen. So können sich die Kinder gegenseitig unterstützen. Wichtig ist, dass die Beiträge der Kinder auf Freiwilligkeit basieren.
Leseanlässe werden in der Schule Littau Dorf von der AG Leseförderung organisiert und durchgeführt. Die AG Leseförderung umfasst vier bis fünf Lehrpersonen. Gewinnbringend ist es, wenn aus jeder Unterrichtsstufe mindestens eine Lehrperson Teil der Arbeitsgruppe ist. So fliessen Ideen und Anliegen aus den jeweiligen Stufen in die Arbeitsgruppe mit ein. Bei der Jahresplanung legen die Lehrpersonen fest, wer für welche Anlässe die Leitung übernimmt. Bei der Durchführung sind je nach Bedarf mehrere Lehrpersonen anwesend.
Für die Planung der einzelnen Anlässe (hier Zilly und Zingaro als Beispiel) ist es hilfreich Planungsraster (siehe Materialien und Links) zu erstellen, in dem der Ablauf sowie die benötigten Materialien festgehalten werden.
Die Leseanlässe an der Schule Littau Dorf finden jeweils vor oder nach der Unterrichtszeit statt. Je nach Zielgruppe ist es wichtig, sich über die Unterrichtszeiten der Schülerinnen und Schüler zu informieren und den Anlass dementsprechend zu planen.
Erfahrungen bei der Durchführung von Leseanlässen zeigen, dass schriftliche Anmeldungen durch die Eltern hilfreich sind. So kann die AG Leseförderung bei der Planung und Durchführung des Anlasses die Anzahl der teilnehmenden Kinder berücksichtigen. Für die erwähnten Zilly und Zingaro Leseanlässe reichte beispielsweise die Bibliothek für die Durchführung mit 60 Kindern nicht aus und die AG Leseförderung musste zusätzliche Räume organisieren. Leseanlässe sind für alle Kinder der Schulstufen 1.-6. Klasse offen. Je nach Thematik des Leseanlasses fokussieren die Lehrpersonen einzelne oder mehrere Schulstufen. Die AG Leseförderung stellt den betreffenden Klassenlehrpersonen jeweils einen Klassensatz bereits kopierter Anmeldungszettel zur Verfügung. Diese müssen die Klassenlehrpersonen dann nur noch verteilen und an die AG Leseförderung retournieren.
Das Sammeln der Unterschriften stellt eine einfache Möglichkeit dar, einen Überblick zu gewinnen, wie viele Schülerinnen und Schüler am jeweiligen Leseanlass teilgenommen haben. Das Leseanlass-Buch mit den Unterschriften und Fotos von den jeweiligen Anlässen wird von den Kindern immer wieder angeschaut und stärkt das Gemeinschaftsgefühl derjenigen Kinder, die Leseanlässe regelmässig besuchen.
Schulen haben die Möglichkeit, die AG Leseförderung analog zu anderen AGs zu entlöhnen. Erfahrungsgemäss sind zwei Stunden pro Woche ausreichend.
(1) Hippmann & Jambor-Fahlen, 2018, S. 1.
Bilderbuch Zilly und Zingaro:
Korky, Paul & Thomas, Valerie. (2016). Zilly und Zingaro. Der Ritt auf dem Zauberstab. Weinheim: Beltz Verlag.
Kinderlieder:
Graf, Caroline. (2004). Alles Banane. Kinderlieder von Caroline Graf.
Leseforum.ch: https://www.leseforum.ch/index.cfm
Unter folgendem Link finden Sie vielfältige Buchvorschläge und Unterrichtsmaterialien: https://www.baobabbooks.ch/de/aktuell/
‚Kolibri‘ stellt Kinder- und Jugendbücher vor, die einen wertvollen Beitrag zum interkulturellen Dialog leisten und eine vertiefte Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen ermöglichen. Das Verzeichnis ist ein Wegweiser für Familien, Schulen und Bibliotheken. In der Schweiz ist es kostenlos im Buchhandel erhältlich.
Anleitung für das Erstellen von Mini-Books: https://www.minibooks.ch/faltanleitung.cfm
Weitere geeignete Themen für Leseanlässe:
Adventslesen:
Berbig, Renus. (2008). Unglaubliche Weihnachten. 24 Rätsel um die Welt. dtv. Verlagsgesellschaft.
Santa Claus, Sinterklaas oder Väterchen Frost? Weihnachtliche Rätselgeschichten aus der ganzen Welt. Bezüge zur Mehrsprachigkeit sind hier gut machbar. Das Buch eignet sich für Leseanlässe ab der Mittelstufe I (3. – 6. Klasse):
Hüsler, Silvia. (2015). Wo holt der Nikolaus seine guten Sachen? Lehrmittelverlag Zürich.
Wo holt der Nikolaus seine guten Sachen? Das Bilderbuch nimmt Lesende mit auf eine Reise um die Welt. Wir entdecken die Länder, Sprachen und Kulturen, aus denen die Köstlichkeiten aus dem Sack des Samichlaus kommen. Für Kindergarten und Unterstufe.
Osterlesen für die Unterstufe:
z.B. Heine, Helme. (2004). Das schönste Ei der Welt. Weinheim: Beltz Verlag.
Märchen aus aller Welt: Jaenike, Djamila (Hrsg.), Roters, Cristina. (2018). Kindermärchen aus aller Welt. Hundertundein Märchen, ausgewählt von Djamila Jaenike, illustriert von Cristina Roters. Mutabor Verlag.
Geschichten zu verschiedenen Tieren
Geschichten zum Jahresthema der Schule
Detektivgeschichten
Hippmann, K. & Jambor-Fahlen. (2018). Literalität. Köln: Mercator-Institut für Sprachförderung und Deutsch als Zweitsprache (Basiswissen Sprachliche Bildung) [Pdf-Datei]. Gefunden unter: https://www.mercator-institut-sprachfoerderung.de
Korky, P. & Thomas, V. (2016). Zilly und Zingaro. Der Ritt auf dem Zauberstab. Weinheim: Beltz Verlag.
Thomas Buchmann
Schulleiter Schule Littau Dorf, Luzern
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Milena Bieri
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, PH Zug
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