Das Ampelsystem ist ein Problemlöseablauf und Konfliktlöse-Tool für Kindergarten und Primarstufe, welches Kinder dabei unterstützt, Konflikte selbständig oder mit Hilfe von Fairnesshütern, zu lösen. Das Ampelsystem ist Teil von DENK-WEGE, einem umfassenden Programm für Lehrpersonen und Schulteams zur Förderung überfachlicher Kompetenzen bei Kindern. Die hier vorgestellte Idee «Konfliktlösung mit dem Ampelsystem» beschreibt exemplarisch einen Baustein des Programms.
Text: Milena Bieri
Empfohlen für Zyklus 1&2
Es ist Klassenstunde in der Klasse 6b. Die Lehrerin Christiana Falcato und die Schülerinnen und Schüler arbeiten heute gemeinsam am Schwerpunkt «Problemlösen». Dazu repetieren sie das Problemlöse-Schema, genannt «Ampelsystem». Dieses Ampelsystem verwenden alle Schülerinnen und Schüler im Schulhaus – vom Kindergarten bis zur sechsten Klasse – um Konflikte zu lösen.
In der Klassenstunde beschreiben die Schülerinnen und Schüler nun die einzelnen Schritte des Ampelsystems und tragen ihre Ergebnisse zusammen.
So sind die einzelnen Schritte für die nachfolgende Übung zur Konfliktlösung präsent:
Standortbestimmung – Sich beruhigen und dann gegenseitige Standpunkte anhören.
Planungsphase – gemeinsam sammeln die Kinder Ideen und überprüfen diese mit Hilfe von Fragen, welche sie darin unterstützen, angemessenes und kluges Verhalten zu berücksichtigen.
Sie überlegen, welche Folgen die Idee hat, welche Vor- und Nachteile. Mithilfe von Prüf-Fragen finden die Kinder heraus, welches die besten Ideen sind, u.a. sind dies:
Ist unsere Idee realistisch und machbar?
Ist die Idee fair: Wie fühle ich mich, und wie fühlen sich andere?
Halten wir die Regeln ein?
Benötigen wir weitere Informationen?
Anwendungsphase – Die Kinder probieren die am besten erscheinende Lösung aus und evaluieren das Resultat, indem sie gemeinsam besprechen, inwiefern die Lösung den Konflikt klären konnte.
Nach der Repetition des Ampelsystems erhalten die Schülerinnen und Schüler in der Klasse von Frau Falcato nun die Aufgabe, in Kleingruppen fiktive Konfliktsituationen anhand des Ampelsystems zu lösen. Die Gruppen spielen in einem Rollenspiel die Konfliktsituation und eine mögliche Lösung für den Konflikt durch. Mögliche Konfliktsituationen sind:
1) Im Sportunterricht dürfen die Schülerinnen und Schüler ein Spiel wählen. Sie wünschen sich unterschiedliche Spiele. Wie können sich die Schülerinnen und Schüler dieser Klasse einigen?
2) Die Kinder einer Klasse verstehen sich grundsätzlich gut. Doch dann beschliesst eine Gruppe, ein einzelnes Kind auszuschliessen. Zwei Kindern aus der Klasse gefällt das nicht. Wie kann die Klasse die Situation lösen?
3) Ein Kind stört im Musikunterricht. Die Kinder der Klasse möchten mit dem Unterricht fortfahren. Wie könnten die Schülerinnen und Schüler reagieren?
Nach jeder Präsentation der Konfliktsituation und möglicher Lösungen folgt ein Gespräch in der Klasse. Dabei leitet die Lehrperson die Schülerinnen und Schüler an, indem sie folgende Fragen stellt:
Hat das Rollenspiel alle drei Schritte des Ampelsystems berücksichtigt?
Welche Phase des Ampelsystems ist der Gruppe besonders gut gelungen?
Wie beurteilen die Schülerinnen und Schüler den Lösungsweg der Gruppe?
Was hätte die Gruppe anders gestalten können?
Anhand der verschiedenen Leitfragen geben die Schülerinnen und Schüler und auch die Lehrperson der präsentierenden Gruppe ein Feedback bezüglich ihres Lösungsvorschlags. Oftmals kommen die präsentierenden Gruppen auch auf ihre alternativ diskutierten Lösungen zu sprechen und begründen, weshalb sie sich für die eine Lösung entschieden haben. Die Lehrperson moderiert das Gespräch und macht an diesem Tag kurz vor den Sommerferien auch einen Ausblick auf den kommenden Übertritt in die Sekundarstufe oder ans Gymnasium. Die Schülerinnen und Schüler sehen Möglichkeiten, das Ampelsystem auch in der höheren Schulstufe anzuwenden. Zwar werden da keine Fairnesshüter vor Ort sein. Die Schritte lassen sich jedoch auch so durchführen, finden die Kinder, da sie diese jetzt schon gut verinnerlicht hätten.
Das Ampelsystem ist flexibel und spontan einsetzbar. Der Ablauf des Ampelsystems unterstützt Kinder dabei, Probleme auf kreative Weise anzugehen. Alle Kinder der Schule eignen sich das Problemlöse-Schema an, indem sie in der Klasse altersgerechte Beispiele und aktuelle Probleme diskutieren und Lösungen erarbeiten. Im Laufe der Zeit erwerben die Kinder so eine Vielzahl von Lösungen, die ihnen im täglichen Leben zur Verfügung stehen.
In der Unterstufe thematisieren Kinder und Lehrpersonen Konflikte, die auf dem Pausenplatz entstehen, Streitigkeiten während des Spiels oder auch andere Probleme mit Mitschülerinnen und Mitschülern. Auf der Mittelstufe thematisieren sie beispielsweise Hausaufgabenprobleme, Stresssituationen, Schwierigkeiten im Umgang mit Freunden und Freundinnen oder den Umgang mit Gruppendruck.
In Konfliktsituationen können die Kinder das Ampelsystem selbständig anleiten und stärken so ihre Selbstwirksamkeit. Falls es nicht möglich ist, den Konflikt selbst zu lösen, können die Kinder einen sogenannten “Fairnesshüter” beiziehen. Diese Fairnesshüter sind besonders vertraut mit dem Ampelsystem und wurden im Voraus geschult, um ihre Mitschülerinnen und Mitschüler bei der Konfliktlösung bestmöglich zu unterstützen.(1)
Bei DENK-WEGE handelt es sich um ein evidenzbasiertes Programm zur Förderung von personalen und sozialen Kompetenzen. Ziel ist es, die psychische Gesundheit, Resilienz und Lernbereitschaft der Kinder zu stärken. Gleichzeitig geht es um die Prävention von Problemverhalten, Mobbing und Gewalt. DENK-WEGE ist ein umfassendes Programm für Lehrpersonen und ganze Schulteams. Es besteht aus verschiedenen Schwerpunktthemen, wie beispielsweise «Gesundes Selbstwertgefühl», «Gefühle und Verhalten», «Selbstkontrolle» oder der in dieser Idee vorgestellte Schwerpunkt «Problemlösen». Die hier vorgestellte Idee beschreibt exemplarisch einen Baustein des Schwerpunkts «Problemlösen». DENK-WEGE ist am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Zürich unter der Leitung von Dr. Rahel Jünger seit 2004 aufgebaut und weiterentwickelt worden. Es enthält sowohl Unterrichtsmaterialien als auch Schulungen und Weiterbildungen. DENK-WEGE wurde nicht spezifisch für Schulen mit einer sehr heterogenen Schülerschaft entwickelt. Dennoch eignet sich das Programm auch für Schulen in einem migrations- und schichtspezifisch heterogenen Umfeld. Gerade bei Kindern und Familien mit sehr unterschiedlichen Familienstrukturen und Schulerfahrungen kann ein einheitliches Programm, welches während der ganzen Primarschul-Laufbahn aufgebaut wird, sehr wertvoll sein. Hier finden Sie ausführliche Informationen zu DENK-WEGE.
Zur Umsetzung von DENK-WEGE gehören drei Teile:
Unterrichtsmaterialien für Lehrpersonen und Schülerinnen & Schüler (ein Ordner mit Materialien für jede Stufe, Gefühlskarten, Handreichungen, etc.)
Eine DENK-WEGE-Schulung des Lehrpersonenteams und Module für die Betreuung
Zwei Coachings pro Lehrperson und Beratung der Steuergruppe & Schulleitung (2)
Die oben beschriebene Lektion zum Ampelsystem in der 6. Klasse wurde in der Klassenstunde umgesetzt. Die Klassenlehrerin Frau Falcato arbeitet jede zweite Klassenstunde mit DENK-WEGE. Dazu stehen ihr die vielen Materialien und Unterrichtsvorschläge von DENK-WEGE zur Verfügung. Inhalte von DENK-WEGE lassen sich aber auch gut in weiteren Fächern wie Deutsch oder Natur, Mensch, Gesellschaft bearbeiten. Die erarbeiteten Instrumente werden in Ritualen im Unterricht und in verschiedenen Fächern genutzt und somit im Schulalltag verankert.
Einerseits enthält das Programm ein klares Konzept, an welches sich Lehrpersonen bei der Förderung von personalen und sozialen Kompetenzen halten können. Andererseits lässt das Programm den Lehrpersonen viel Gestaltungsfreiraum, da sie es auf sehr unterschiedliche Weise im Unterricht einsetzen können.
Konfliktlöse-Tools wie das hier vorgestellte Ampelsystem lassen sich auch isoliert, ohne das DENK-WEGE-Programm, in einer Klasse umsetzen. Sie stellen eine Möglichkeit dar, wie Lehrpersonen mit ihren Schülerinnen und Schülern Konfliktlöse-Strategien erarbeiten und aufbauen können. Erfahrungen in Schulen zeigen jedoch, dass der ganzheitliche Ansatz, der systematische und kumulative Aufbau von DENK-WEGE insgesamt die Kompetenzentwicklung in den Bereichen der psychischen Gesundheit, Konfliktlösung, Resilienz und Lernbereitschaft positiv beeinflussen kann. Ist das Programm schulweit eingeführt, lernen die Kinder schon im Kindergarten erste Aspekte des Programms kennen, z.B. die Teilschritte des Ampelsystems. Die Lehrpersonen können von Klasse zu Klasse auf das vorhandene Wissen und Können aufbauen und Lerninhalte spiralförmig vertiefen. (3)
Mit DENK-WEGE werden die überfachlichen Kompetenzen systematisch aufgebaut. Das Programm bietet eine gute Möglichkeit, in einem Schulteam eine gemeinsame Schulkultur aufzubauen, in welcher Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrpersonen dieselbe Sprache bezüglich überfachlicher Kompetenzen sprechen.
Arbeiten Schulen mit dem Ampelsystem, sollte dieses im ganzen Schulhaus implementiert und vor allem auch visuell gut sichtbar sein. Die Ampeln sind beispielsweise in den Schulgängen auf den Boden geklebt. Hinweisschilder mit den wichtigsten Schritten des Ampelsystems sind gut sichtbar aufgehängt, damit die Schülerinnen und Schüler bei der Konfliktlösung darauf zurückgreifen können. Für die Arbeit in den Klassen stellen Lehrpersonen und Kinder zudem unterschiedliche Visualisierungen und Hilfsmittel zur Konfliktlösung her (Siehe Bild Ampeltreppe). Alle neuen Lehrpersonen in einem Schuljahr werden zu den Weiterbildungstagen von DENK-WEGE eingeladen. Damit wird sichergestellt, dass das Konzept fest in der Schulkultur verankert wird.
Soziale Kompetenzen sind auch zu Hause täglich von Bedeutung. Deshalb lohnt es sich, die Eltern möglichst in den Kompetenzaufbau ihrer Kinder miteinzubeziehen. So wird an einem Elternabend beispielsweise das Ampelsystem vorgestellt. Elternabende sind eine Möglichkeit, Eltern zu zeigen, woran und wie in der Schule gearbeitet wird. An Schulen, die das Programm DENK-WEGE durchführen, erhalten die Eltern Informationsmappen in verschiedenen Sprachen mit den wichtigsten Informationen zum Programm, um Veränderungen im Verhalten des Kindes besser einordnen zu können. Ausserdem gibt es Elternkurse, die es den Eltern ermöglichen, wichtige Aspekte des Programms miteinander zu besprechen und vertieft zu behandeln (4). Damit alle Eltern an den Elternkursen partizipieren können, ist es hilfreich, geeignete Zeitfenster auszuwählen und auch Übersetzungsmöglichkeiten anzubieten (z.B. Dolmetschende, Sprachgruppen etc.).
(1) vgl. Informationsmappe DENK-WEGE, o.J., S. 6
(2) vgl. Factsheet DENK-WEGE, o.J. S. 2
(3) vgl. Informationsmappe DENK-WEGE, o.J., S. 8
(4) vgl. Informationsmappe DENK-WEGE, o.J. S. 11
Website DENK-WEGE : www.denk-wege.ch oder www.gewaltpraevention-an-schulen.ch/index.html
www.gewaltpraevention-an-schulen.ch/Fuer_Interessierte.html
Zum Herunterladen:
Factsheet DENK-WEGE, o.J. Programm zur Förderung personaler und sozialer Kompetenzen.
Informationsmappe DENK-WEGE, o.J. Programm zur Förderung personaler und sozialer Kompetenzen.
Rahel Jünger, Dr. phil.
Primarlehrerin, Projektleiterin DENK-WEGE
Milena Bieri
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, IZB