Kunst bewegt – das gilt auch für Kinder, die Deutsch lernen. Die Arbeit in einem Kunstatelier kann ein ungezwungener Zugang zu einer neuen Sprache sein.

Text: Miriam Aegerter

Empfohlen für Zyklus 1 und 2

Beschreibung der Idee

Im Kunstatelier der Schule Mariahilf in Luzern herrscht reges Treiben. Es wird collagiert, gezeichnet, geklebt, gemalt und dabei immer wieder Grundwortschatz eingeübt. Die Kinder der Aufnahmeklasse kreieren Kunstwerke, inspiriert durch den Künstler Henri Matisse. Die Lektionen folgen einer immer gleichen Struktur, denn gerade nach einer Flucht oder Migration ist Orientierung und Struktur sehr wichtig. Mantel und Kohli führen in ihrer Broschüre aus, dass die Schule den Alltag wieder in einen vorhersehbaren Rhythmus bringen kann und dabei verlässliche Strukturen und Rituale besonders bedeutsam sind (vgl.(1) Mantel & Kohli, 2022, S.5).
 

«Bildnerisches Gestalten ermöglicht eine nonverbale Kommunikation, die besonders für junge Menschen, die noch nicht über umfassende sprachliche Fähigkeiten verfügen, hilfreich sein kann», sagt Marcella Tönz, Fachlehrperson für BG an einer Aufnahmeklasse für Kinder aus der Ukraine. Die ausgebildete Kindergärtnerin, Montessori Pädagogin und langjährige Verantwortliche für das Kinder- und Jugendprogramm des Lucerne Festivals hat in der Schule Mariahilf in Luzern ein Kunstatelier ins Leben gerufen.

Gemäss Marcella Tönz konnten die Schülerinnen und Schüler dem Regelunterricht anfangs sprachlich noch nicht folgen. Somit hat sie versucht, den Zugang über das Bildnerische Gestalten zu schaffen. «Durch kreatives Arbeiten fanden die Kinder schneller und ungezwungener Zugang zur neuen Sprache, weil Sprache auch stark an Emotionalität gebunden ist», so die Fachlehrerin. «Die Kinder haben in zwei Lektionen «Bildnerisches Gestalten» oft mehr Deutsch gesprochen als im Regelunterricht während der restlichen Woche», führt Marcella Tönz weiter aus.

Kunstausstellung als Abschluss

Als Abschluss und Höhepunkt des Schuljahres dürfen die Kinder der Aufnahmeklasse ihre Arbeiten präsentieren. In der Schule Mariahilf wurden die Werke den Eltern, Lehrpersonen und Vertretungen der Stadt präsentiert, wobei der Korridor einer Kunstgallerie glich. (Bilder unter folgendem Link (zentralplus))

«Bildnerisches Gestalten ermöglicht eine nonverbale Kommunikation, die besonders für junge Menschen, die noch nicht über umfassende sprachliche Fähigkeiten verfügen, hilfreich sein kann.»
Marcella Tönz

Kunstatelier und DaZ

Im Kunstatelier wird immer mit einem Vers gestartet. Verben wie «schneiden, zeichnen, malen, kleben» werden dann repetiert und auch Gegenstände wie Schere, Pinsel, Bleistift, Papier etc. werden benannt. Danach wird gearbeitet und eben gesprochen, repetiert und Wortschatz geübt. In einer ersten Phase fokussiert die Lehrerin auf den Grundwortschatz und baut diesen auf. In einer nächsten Phase wird dann der Bogen zur Grammatik gemacht. «Wir kommen dann zur dritten Person. Da ist dann plötzlich Herr Matisse bei uns. ER malt, schneidet, collagiert usw.», erläutert Marcella Tönz.

Thema Henri Matisse. Aufnahmen Marcella Tönz
Thema Henri Matisse. Aufnahmen Marcella Tönz
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Inhaltlich startet sie das Kunstatelier beim Menschen und dem Thema «ICH». Es werden Portraits gestaltet, wobei die Familie bewusst nicht thematisiert wir. Hier ist eine Sensibilität der Lehrperson bzgl. Familiengeschichte gefordert, wo beispielsweise ein Elternteil aufgrund von Krieg abwesend ist.

«Wichtig ist, dass konkrete Aufträge erteilt und diese auch verstanden werden. Dabei ist nicht das Produkt ausschlaggebend, sondern der Lernprozess», sagt Marcella Tönz. Sie betont im Gespräch zudem mehrmals, dass im Bildnerischen Gestalten immer wieder der Bezug zur Natur geschaffen werden soll, da die Kinder besonders gut darauf ansprechen. So werden in ihrem Kunstatelier beispielsweise Portraits mit Naturmaterialien gestaltet oder ein Alphabet mit gesammelten Gegenständen aus der Natur gelegt.

Arbeiten mit Naturmaterialien. Aufnahmen Marcella Tönz
Arbeiten mit Naturmaterialien. Aufnahmen Marcella Tönz
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So kann es gelingen

Sensibler Umgang bzgl. Migrations- oder Fluchtgeschichte

Die Kinder der Aufnahmeklassen bringen alle sehr individuelle Flucht- und/oder Migrationsgeschichten mit. Lehrpersonen brauchen diesbezüglich eine hohe Sensibilität. Das bedeutet, z.B., dass sie den Kindern die Wahl lassen, ob sie über ihre Geschichten sprechen möchten oder nicht. Zudem ist es auch wichtig auf eine sensible Sprache zu achen. So sagt Marcella Tönz beispielsweise, dass sie sagen wollte: «Das könnt ihr nach Hause nehmen» und dann realisiert hat, dass viele dieser Kinder ja ihr Zuhause verlassen mussten und den neuen Wohnort vielleicht (noch) nicht als «Zuhause» bezeichnen würden. Weitere Informationen bzgl. Sensibilität finden sich auch in der Broschüre «Flucht – Trauma – Schule».

Unterstützung durch die Schulleitung, Zusammenarbeit & Ressourcen

Damit ein Kunstatelier und eine Ausstellung durchgeführt werden können, braucht es das Commitment und die Unterstützung durch die Schulleitung. Zudem müssen passende Räume und Materialien zur Verfügung stehen.
 

Ein solches Projekt kann nicht von einer einzelnen Person verantwortet und durchgeführt werden. Daher ist die Zusammenarbeit zwischen den Klassen- und weiteren Fachlehrpersonen zentral. Falls ein Kunstatelier nicht in einer Aufnahmeklasse, sondern in einer Regelklasse durchgeführt wird, ist die Kommunikation und Absprache zwischen Klassen- und DaZ-Lehrperson sehr wichtig. So kann beispielsweise der gleiche Wortschatz mit der DaZ-Lehrperson vorentlastet oder zusätzlich eingeübt werden oder die Lehrpersonen arbeiten im Team-Teaching zusammen.

  1. (1) Mantel & Kohli, 2022, S.5

Kontakt


Marcella Tönz, Fachlehrperson Bildnerisches Gestalten
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Miriam Aegerter, Dozentin PH Zug
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Broschüre Flucht und Trauma
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