Unterrichts- und Spielmaterialien spielen in der Schule eine zentrale Rolle. Lehrpersonen können eine positive Atmosphäre der Zugehörigkeit und Akzeptanz schaffen, indem sie die Spiel- und Lernumgebung in ihrem Klassenzimmer überprüfen und dabei darauf achten, dass sich die Vielfalt der Gesellschaft darin widerspiegelt. Puppen, Figuren, Puzzles, Bücher, Spiele sowie Abbildungen in den Unterrichtsmaterialen und im Klassenzimmer werden für eine vorurteilsbewusste Lernumgebung genauer unter die Lupe genommen.
Text:Tamina Kappeler und Miriam Aegerter
Empfohlen für Zyklus 1 und 2
«Für Kinder sind die Materialien, die ihnen erwachsene Autoritäten geben, ein besonders bedeutsamer Weltausschnitt, weil sie von den Erwachsenen ausgewählt wurden» (1).
In diesem Sinne möchte Judith Messerli, DaZ-Lehrerin im Kindergarten, dass sich ihre Schülerinnen und Schüler in ihrer Spiel- und Lernumgebung erkennen. Sie hat festgestellt, dass die Kinder einfacher Zugehörigkeit finden und Grundwerte wie Toleranz und Respekt lernen, wenn sich die gesellschaftliche Vielfalt in den Materialen widerspiegelt. Als sie vor einigen Jahren beschlossen hat, das Spiel- und Lernmaterial in ihrem Kindergarten auf diskriminierende Inhalte zu überprüfen, ging sie schrittweise vor. Zuerst nahm sie die Bücherecke unter die Lupe, dann die Spielsachen und die Lehrmittel. Einige Medien hat sie entsorgt, aber meistens reichte eine kleine Anpassung. Eine stereotype Playmobil-Puppe im traditionellen vietnamesischen Ao dài Kleid mit einem Kegelhut aus Stroh und einem Maiskolben in der Hand transportiert zum Beispiel ein ganz anderes Bild, wenn man den Hut und den Maiskolben entfernt.
Die Kollektion wird mit asiatisch aussehenden Playmobil-Figuren ergänzt, die Alltagskleider wie Jeans tragen, um zu unterstreichen, dass ostasiatische Menschen sich ganz unterschiedlich kleiden. Überall im Kindergarten gibt es Puppen oder Protagonistinnen und Protagonisten mit unterschiedlichen Hauttönen. In der Zeichenecke stehen «Hautfarben-Stifte» zur Verfügung, die von hellrosa bis schwarz reichen. Dadurch realisieren die Kinder implizit, dass es nicht nur schwarze und weisse Hautfarbe gibt, sondern unzählig verschiedene Hautfarbentöne.
«Weiter achte ich darauf, dass Poster mit unterschiedlichen Sprachen und Schriften im Klassenzimmer hängen, oder dass die Flaggen der Welt sichtbar sind»
führt Judith Messerli weiter aus.
Seit sie für die Konsequenzen von diskriminierenden Medien sensibilisiert wurde, achtet sie bereits bei der Materialbestellung darauf, Medien zu kaufen, die keine stereotypen oder einseitigen Bilder enthalten. Die Vielfalt soll so dargestellt sein und sichtbar werden, wie sie auch wirklich existiert, damit sie als normal betrachtet wird. So sollen beispielsweise auch vielfältige Familienmodelle oder Schwarze Familien im Urlaub gezeigt werden.
Judith Messerli orientiert sich an folgenden Fragen bei der Durchsicht oder Bestellung von Medien:
Sind Kinder mit unterschiedlichen Hautfarben vertreten? Sind diese gleichwertig vertreten?
Können sich alle Kinder wiederfinden und mit dem Inhalt identifizieren (Hautfarbe, ethnische Herkunft, Sprachen, Familienmodell, Gender, körperliche Fähigkeiten)?
Welche Werte und Rollenbilder werden vermittelt?
Ist der Inhalt diskriminierungsfrei? Sind die Abbildungen frei von Stereotypen?
Sind mehrsprachige Materialien/Bücher vorhanden? Sind verschiedene Schriften repräsentiert?
Einen ähnlichen Fragenkatalog stellt Baobab Books für die kritische Überprüfung von Buchinhalten zur Verfügung.
Wichtig ist, sich nicht unter Druck zu setzen, denn auch wenn pädagogisches Handeln von Individuen ausgeht, ist es immer in einem grösseren, gesellschaftlichen Kontext situiert. Eine Lehrperson kann systematisch alle Unterrichtsmaterialien überprüfen, und dennoch ist es wahrscheinlich, dass diskriminierende oder einseitige Bilder darin vorkommen werden. Für einige Fächer schreibt die Schule obligatorische Lehrmittel vor, die ohnehin nicht aussortiert werden dürfen. Auch wenn alle Materialien aussortiert würden, würde man sicherlich eines Tages über eine problematische Stelle stolpern. Solche Situationen können dann aber gerade wunderbare Anlässe sein, um Diskriminierung oder einseitige Repräsentationen mit der Klasse zu reflektieren. Die Diskussion oder Lernsequenz muss nicht unmittelbar und spontan stattfinden; die Lehrperson kann das Thema durchaus zu einem späteren Zeitpunkt aufnehmen, nachdem sie Zeit hatte, sich zu informieren und darauf vorzubereiten.
Glücklicherweise stehen zunehmend mehr vorurteilsbewusste Spiel- und Unterrichtsmaterialien zur Verfügung. Sie können jedoch auch selbst hergestellt werden, indem das Grundmuster von Spielen wie Memories, Lottos oder Puzzles verwendet wird und diese dann mit eigenen Bildern/Fotos beklebt/bedruckt/etc. werden.
Um eine vorurteilsbewusste Lernumgebung zu gestalten, braucht es sensible Lehrpersonen, die sich selbst reflektieren und entsprechend die Praxis gestalten. Sie ist überall angebracht, sei es in der Grossstadt oder auf dem Land, mit ein- oder mehrsprachigen Kindern, mit Familien mit Migrationshintergrund oder solchen, die seit Generationen hier leben, mit Kindern mit körperlichen Beeinträchtigungen oder ohne, mit Schwarzen Kindern oder Weissen. Vorurteilsbewusste Arbeit geht uns alle an und trägt die Chance in sich, die Lebensrealität eines jeden Einzelnen zu verbessern. (1)
Wagner, P. et al. (Hrsg.) (2013).
Handbuch Inklusion. Grundlagen vorurteilsbewusster Bildung und Erziehung
Freiburg: Herder.
Fragenkatalog von Baobab Books: www.baobabbooks.ch
Hautfarbenbuntstifte für alle: www.hautfarben-buntstifte.de
Judith Messerli
Schulhaus Büöl, Ingenbohl
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Miriam Aegerter
Dozentin, PH Zug
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