Manche Schülerinnen und Schüler müssen lernen, zu lernen und sich dabei zu organisieren. Oder sie müssen lernen, wie sie mit Stress und Konflikten umgehen. Hier setzt das Projekt «Schulmentoren – Hand in Hand für starke Schulen» aus Hamburg an. Dabei übernehmen ältere Schülerinnen und Schüler die Rolle der Mentorinnen und Mentoren und greifen den jüngeren unter die Arme. Das Projekt könnte auf Schulen in der Schweiz angepasst werden. Im Folgenden erfahren Sie, was eine Schule im Rahmen des Projekts konkret macht.
Text: Dominique Braun
Empfohlen für Zyklus 2 und 3
Adeel(1) besucht die 10. Klasse am Kurt-Körber-Gymnasium in Hamburg. Seit bald zwei Jahren ist er an seiner Schule als Mentor tätig. Mentor bedeutet, dass er jüngere Kinder am Gymnasium unterstützt. Begonnen hat er im Klassenrat einer 5. Klasse. Da war er zuständig für Fragen, die die gesamte Klasse betrafen, z.B. Mobbing. Manchmal war er mit den Schülerinnen und Schülern allein. Er leitete den Klassenrat und diente als Gesprächspartner. Seine Erfahrung zeigt, dass er den Schülerinnen und Schülern auf einer anderen Ebene begegnen kann als dies für Lehrpersonen möglich ist. Die jüngeren Kinder öffneten sich ihm gegenüber eher. Die Lehrperson hätte er wieder beiziehen können, wenn dies nötig geworden wäre.
Inzwischen ist Adeel Mentor eines 5. Klässlers und unterstützt diesen individuell. Es gehe darum, Anregungen zu geben, damit der Schüler mit der Zeit immer selbständiger werde, z.B.:
Wie organisiere ich mein Lernen?
Wie lerne ich am effektivsten? Welche Methoden gibt es?
Wie gehe ich mit Stress um?
Manchmal braucht der jüngere Schüler auch einfach ein Gegenüber, das ihn in seinem Selbstvertrauen stützt oder dem er ein Problem anvertrauen kann. Oder er braucht fachliche Unterstützung. Allerdings sei der konkrete Inhalt manchmal gar nicht so wichtig. Was die Mentees besonders stärkt, ist die zugewandte Haltung, dass sich jemand für sie interessiert, dass sich jemand für sie Zeit nimmt und ihnen etwas zutraut. So können sie irgendwann auch etwas mehr an sich selbst glauben.
Adeel hatte selbst einen Mentor als er jünger war. Durch seine eigene Erfahrung kann er umso besser verstehen, was sein Mentee braucht und wo seine Schwierigkeiten liegen könnten.
Die Teilnahme am Mentoringprogramm ist auch für die Mentorinnen und Mentoren selbst eine Bereicherung. Sie lernen, auf jüngere Lernende zuzugehen, ihnen zuzuhören und sie zu unterstützen – eine Tätigkeit, die viel Selbstwirksamkeitserfahrung ermöglicht.
Die Mentorinnen und Mentoren sind bei den jüngeren Schülerinnen und Schülern bekannt. Dadurch kennen jüngere Kinder ältere Jugendliche, was die Schulgemeinschaft insgesamt stärkt. Die bestehende Beziehung ermöglicht es, der ehemaligen Mentorin oder dem ehemaligen Mentor eine Frage zu stellen, auch wenn man selbst nicht mehr am Mentoringprogramm teilnimmt.
Auch die Mentorinnen und Mentoren kennen sich und unterstützen sich bei offenen Fragen gegenseitig. Durch ihr längerfristiges Engagement lernen sie sich über die verschiedenen Jahrgänge hinaus kennen. Auch das stärkt die Schulgemeinschaft.
Damit Jugendliche ein Mentorat übernehmen dürfen, müssen sie sich erst qualifizieren. Die Arbeit als Mentorin oder Mentor ist nämlich anspruchsvoll und komplex. An einer eintägigen Veranstaltung setzen sie sich mit verschiedenen Themen auseinander. Sie lernen spezifische Methoden zur Arbeitsorganisation oder zum Lernen kennen. Auch beschäftigen sie sich mit Kommunikation: Wie spreche ich mit dem Mentee? Welche Kommunikationsmittel verwende ich?
Alle zwei Jahre bildet das sozialpädagogische Team(2) gemeinsam mit der Koordinierungsstelle Weiterbildung und Beschäftigung (KWB e.V.) Schülerinnen und Schüler aus den 9. und 10. Klassen aus. Manche haben sich selbst gemeldet, andere wurden von ihren Klassenlehrpersonen vorgeschlagen. Pro Jahr kommen so zehn bis zwölf neue Mentorinnen und Mentoren dazu.
Auch die Verantwortlichen der Schule erhalten Unterstützung in Form von Weiterbildungen, Gefässen zum Austausch und Möglichkeiten zur Weiterentwicklung des Projekts. Angeboten wird dies von der Behörde für Schule und Berufsbildung.
Schülerinnen und Schüler, die ein Mentorat wünschen, können sich melden. Manchmal macht auch eine Lehrperson jemanden auf das Angebot aufmerksam. Sie braucht dafür viel Fingerspitzengefühl. Denn wenn Lehrpersonen Schülerinnen und Schüler auf vorhandene Defizite oder fehlende Ressourcen aufmerksam machen, kann dies sehr verletzend sein. Einfacher ist es, wenn bereits ein Kind der Klasse eine Mentorin oder einen Mentor hat. Dann wird das Angebot plötzlich auch für andere Kinder attraktiv. Das wirke wie eine Initialzündung, erzählt die beteiligte Sozialpädagogin. Adeel hat dies selbst erlebt. Als er Mentee des 5. Klässlers wurde, seien plötzlich andere Kinder aus der Klasse zu ihm gekommen und hätten sich erkundigt, wie sie ebenfalls zu einem Mentor kommen könnten.
Die Erfahrung zeigt auch, dass es wichtig ist, dass die Mentees Interesse am Mentorat haben, damit es funktioniert.
Das Mentorat ist für Schülerinnen und Schüler der 5. und 6. Klasse gedacht. Es dauert in der Regel ein halbes Schuljahr. Danach wird nochmals neu entschieden, ob es für ein Kind weitergeführt wird.
Die Aufgabe der Mentorinnen und Mentoren übernehmen die Schülerinnen und Schüler der 9. und 10. Klasse. Sie werden vom sozialpädagogischen Team der Schule begleitet und unterstützt.
Um geeignete Tandems zu bilden, suchen die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen das Gespräch mit den Lehrpersonen. Und sie führen Einzelgespräche mit den Schülerinnen und Schülern, die gerne einen Mentor oder eine Mentorin hätten. Sie fragen nach, worin die Unterstützung bestehen solle und welches die Bedürfnisse der Kinder seien. Danach überlegen sie, welcher Mentor oder welche Mentorin passen könnte, und bringen das Tandem zusammen. Es ist auch möglich, dass jemand mehrere Mentees übernimmt. Erfahrungsgemäss sei die Arbeit mit zwei Mentees machbar. Man müsse aber darauf achten, dass sich die Mentorinnen und Mentoren nicht überfordern würden.
Früher hat die Schule Speed-Datings durchgeführt, damit sich Mentees und Mentoren bzw. Mentorinnen kennenlernen konnten. Einige Jugendliche seien dann besonders beliebt gewesen und v.a. deshalb ausgewählt worden. Die Passung rückte in den Hintergrund. Deshalb verzichtet die Schule inzwischen darauf. Adeel hat dieses Speed-Dating als Mentee erlebt und in guter Erinnerung. Es werde dadurch möglich, zu merken, welche Person einen am ehesten verstehen könne.
Es fällt nicht allen Mentoren und Mentorinnen leicht, den Erstkontakt zu ihren Mentees herzustellen. Das sozialpädagogische Team oder die Lehrpersonen unterstützen sie. Die Tandems treffen sich danach einmal pro Woche, meistens in der Pause. Aufgrund des vollen Stundenplans ist es manchmal schwierig für sie, einen geeigneten Zeitpunkt zu finden. Damit das Mentorat regelmässig stattfindet und dadurch verbindlich wird, unterstützen die Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen auch hier.
In Hamburg wird das Projekt «Schulmentoren» an 50 Schulen umgesetzt, sowohl in Grundschulen als auch an weiterführenden Schulen. Das Projekt erhält Begleitung und Unterstützung der Behörde für Schule und Berufsbildung in enger Zusammenarbeit mit der Koordinierungsstelle Weiterbildung und Beschäftigung (KWB e.V.).
Möchten Schulen in der Schweiz etwas Ähnliches umsetzen, können sie das Projekt zwar nicht eins zu eins übernehmen. Sie können sich aber von den Erfahrungen in Hamburg inspirieren lassen und ein kleineres Projekt für die eigene Schule erarbeiten. Wichtig ist, dass sich Schulen überlegen, wie sie die Mentorinnen und Mentoren auf ihre Aufgaben vorbereiten und darin unterstützen können. Idealerweise koordiniert die Schulsozialarbeit das Projekt an einer Schule möglichst im Austausch mit der Schulleitung und einigen Lehrpersonen. Die Erfahrungen aus Hamburg zeigen, dass auch ein Coaching der verantwortlichen Person durch eine Fachstelle sowie der Austausch mit Personen, die ein ähnliches Projekt leiten, sinnvoll ist.
Das beschriebene Beispiel bezieht sich auf ein Gymnasium. In Deutschland erfolgt der Übertritt ins Gymnasium nach der 4. Grundschulklasse. In der Schweiz wäre ein solches Mentoringprogramm nach dem Übertritt in den Zyklus 3 denkbar. Schülerinnen und Schüler der 3. Sekundarklasse könnten Schülerinnen und Schüler der 1. Klasse begleiten und unterstützen. In einem Schulhaus, das Klassen aller Zyklen beherbergt, wäre es auch möglich, dass Schülerinnen und Schüler des Zyklus 3 jüngere Kinder unterstützen. Auf der Primarstufe könnten Schulen das Gotte-/Götti-System ausbauen, das bereits an vielen Schulen etabliert ist. Dabei müsste eine Schule die Aufgaben für die Mentorinnen und Mentoren etwas anpassen.
Das Projekt Schülermentoren wird auch auf der Website des Kurt-Körber-Gymnasiums vorgestellt: https://kkg.hamburg.de/schuelermentoren/
Das Projekt ist Teil von «SchulMentoren – Hand in Hand für starke Schulen» der Koordinationsstelle Weiterbildung und Beschäftigung e.V. in Hamburg. Weiter Informationen finden Sie hier: https://www.schulmentoren.de/Home/Home/Schuelerinnen-und-Schueler-843
Dominique Braun
Dozentin, PH Zug
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