Mehrsprachige Bilderbücher eignen sich sehr gut, um verschiedene Sprachen in den Unterricht einzubeziehen, um Kinder neugierig auf Sprachenvielfalt zu machen und um die Literalität zu fördern. Im Folgenden finden sich zwei Ideen, wie Lehrpersonen ganz unterschiedlich mit mehrsprachigen Bilderbüchern arbeiten können.
Text: Dominique Braun
Empfohlen für Zyklus 1 (Wer hilft dem Osterhasen) und 3./4. Klasse (Prinzessin Ardita)
In dieser Geschichte liefern ein Hahn und ein Huhn dem Osterhasen die Ostereier. Sie fahren mit dem Traktor vor und der Osterhase möchte ein Stück weit mitfahren. Dabei verletzt er seine Pfote.
Das Bilderbuch von Silvia Hüsler, das diese Geschichte erzählt, schliesst von Beginn weg unterschiedliche Sprachen mit ein. Alle Abbildungen enthalten Begriffe in verschiedenen Sprachen, wie z.B. der rote Farbkübel auf untenstehendem Bild. Kirmizi ist das türkische Wort für rot. In dieser Geschichte liefern ein Hahn und ein Huhn dem Osterhasen die Ostereier. Sie fahren mit dem Traktor vor und der Osterhase möchte ein Stück weit mitfahren. Dabei verletzt er seine Pfote.
Eine Lehrerin der 2. Klasse erzählt diese Geschichte kurz vor Ostern im Unterricht. Zum Einstieg fragt die Lehrperson, wie denn das bevorstehende Fest bei den Kindern zu Hause gefeiert werde.
Aus der Geschichte erfahren die Kinder, dass der verletzte Hase verzweifelt ist, weil er nun keine Ostereier bemalen kann. Da eilen ganz viele Tauben zu Hilfe. Sie schwirren in alle Himmelsrichtungen aus und rufen in verschiedenen Sprachen nach weiteren Hasen.
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An dieser Stelle betrachten alle gemeinsam die Doppelseite mit den Tauben im Bilderbuch (hier ist nur ein Ausschnitt zu sehen). Das Bild zeigt 25 Tauben und den Begriff «Hase» in 25 unterschiedlichen Sprachen und teilweise Schriften. Anhand der Begriffe überlegt die Lehrerin mit den Kindern, was hier wohl festgehalten wird.
Auf dem nächsten Bild sind dann ganz viele Hasen abgebildet, offenbar unterwegs zum verletzten Osterhasen.
Nach diesem ersten Teil der Geschichte betrachten die Kinder in 3er-Gruppen noch viele weitere Sprachen, Schriften und die jeweilige Aussprache – wieder anhand des Begriffs «Hase» (auf der Innenseite des Covers abgebildet). Sie überlegen, wie man einen Begriff wohl ausspricht und ob sie jemanden kennen, der oder die diese Sprache spricht. Dabei finden die Kinder beispielsweise heraus, dass die Schrift und insbesondere die Aussprache in Russisch und Ukrainisch sehr ähnlich sind.
«Die Kinder fanden die verschiedenen Sprachen sehr interessant. Sie haben entdeckt, dass es viele verschiedene Sprachen gibt, die teilweise schwierig auszusprechen oder zu schreiben sind.» (Norma Zimmermann, DaZ-Lehrerin Gemeindeschulen Schwyz).
In der nächsten Lektion knüpfen die Kinder nochmals beim Bild mit den verschiedenen Hasen an und die Frage steht im Raum: «Wohin gehen diese Hasen wohl?» Dann erzählt die Lehrperson die Geschichte weiter, wie die Hasen aus der ganzen Welt dem verletzten Osterhasen zu Hilfe eilen, so dass fürs Osterfest doch noch alles rechtzeitig bereit ist. Dann verabschieden sich die Hasen und gehen in ihre Herkunftsländer zurück, mit dem Versprechen, im folgenden Jahr wiederzukehren.
Im Anschluss an die Geschichte gibt es ein Sprachenraten. Von fünf Sprachen spielt die Lehrerin jeweils ungefähr eine Minute ab der CD (vgl. Materialien und Links) und die Kinder müssen erraten, um welche Sprache es sich handelt.
«Kinder, die die jeweilige Sprache verstanden haben, waren sehr erfreut, ihre Erstsprache zu hören.»
Norma Zimmermann,
DaZ-Lehrerin Gemeindeschulen Schwyz
Diese Erfahrung zeigt, wie wichtig es ist, dass Kinder immer wieder selbstverständliche Anerkennung ihrer sprachlichen Herkunft erfahren, ohne diese explizit zu nennen.
Nach dem Sprachenraten erteilt die Lehrerin einen Hörauftrag. Die Kinder hören ein etwas längeres Stück der Geschichte in Englisch und müssen jedes Mal notieren, wenn sie das Wort «easterbunny» hören.
Beim nächsten Auftrag ordnen die Kinder Textausschnitte in verschiedenen Sprachen jeweils der richtigen Sprache zu. Dazu erhalten sie den Anfang der Geschichte als Text in Englisch, Russisch, Portugiesisch, Rätoromanisch, Chinesisch und Albanisch.
Und noch ein Nachtrag zum Ende der Geschichte: Silvia Hüsler, die Autorin, hat die Geschichte einmal einer Kindergruppe erzählt, in der die meisten Kinder aus Eritrea stammten und in einer Asylunterkunft lebten. Am Ende der Geschichte fragte ein Mädchen, ob denn diese Hasen tatsächlich alle wieder zurückwollten. «Seither erzähle ich den Schluss so: Einige Hasen wollten grad beim Osterhasen bleiben, andere kehren wieder in ihre Länder zurück…» (Silvia Hüsler, Autorin).
«Agim sprang auf und rief: ‘Warte, schöner Fisch, ich will dich befreien!’ Er schob einen grossen Stein zur Seite. Der Fisch schwamm davon und verschwand. Aber kurz darauf tauchte er plötzlich wieder auf. Er spuckte einen Kieselstein vor Agims Füsse und begann zu sprechen: ‘Fa Fa Fale Faleminde’ Wie spricht man das genau aus?» Die Kinder kichern, weil ihre Lehrerin für Deutsch als Zweitsprache (DaZ) immer wieder über das albanische Wort für «Danke» stolpert. Geduldig helfen sie eins fürs andere Mal, bis die Betonung stimmt.
Die DaZ-Lehrerin erzählt anhand des Bilderbuchs «Prinzessin Ardita» von Silvia Hüsler die Geschichte von Ardita und Agim. Sie, eine wunderschöne und kluge Prinzessin, die ihren Verehrern eine unmögliche Aufgabe stellt, um auserwählt zu werden. Er, ein ebenfalls schöner und hilfsbereiter junger Mann, der das Unmögliche mit Hilfe von Tieren möglich macht.
In diesem Buch wird die Geschichte in Deutsch und in Albanisch erzählt (siehe folgende Abbildung). Nur eben der Begriff «Danke» heisst auch in der deutschen Version «Faleminderit». Die Seitenzahlen sind in beiden Sprachen beschriftet, genauso wie einzelne Stempel in den Illustrationen mit Schlüsselbegriffen: Fuchs, Fernrohr, Fisch, Kieselstein usw. (siehe folgende Abbildung). So kann die Lehrperson einzelne albanische Begriffe wie selbstverständlich in den Unterricht einbeziehen.
Die DaZ-Lehrerin hat das Märchen ausgewählt, weil in der Regelklasse zum Thema Märchen gearbeitet wird. Da dort ausschliesslich Märchen aus dem deutschsprachigen Kulturraum behandelt werden, will sie mit dem Märchen aus dem albanischen Sprachraum eine Erweiterung schaffen. Als Abschluss des Märchenprojekts ist eine Lesung für die Eltern geplant. «Dieses Ziel hat die Kinder motiviert, die Texte immer und immer wieder laut vorzulesen. So trainierten sie quasi nebenbei ihre Leseflüssigkeit.» (DaZ-Lehrerin 3. Klasse).
Die Lehrerinnen schreiben die Märchen in eine Art Rollenspiele um. Neben der Erzählfigur erhalten auch Prinzessinnen, Könige oder Tiere eine Leserolle.
Rolle | Lesetext | |
Erzähler / Erzählerin | Agim steckte die drei Fuchshaare ein und wanderte weiter. Am nächsten Morgen kam er in die Stadt. Da erzählten ihm die Leute von der wunderschönen und klugen Prinzessin Ardita. Dass die Prinzessin heiraten solle, aber nur einen Mann wolle, der sich so gut verstecken könne, dass sie ihn nicht finde. | |
Agim | Ich will auch mein Glück versuche. Ich gehe schnell zum Königsschloss. | |
Erzähler / Erzählerin | Prinzessin Ardita freute sich, als sie Agim sah, denn Agim war ein schöner, junger Mann. | |
Prinzessin Ardita | Ich gebe dir drei Tage Zeit, um dich zu verstecken. Nach dieser Frist werde ich dich suchen. Versteck dich gut! |
Ausschnitt aus «Prinzessin Ardita in gelesenen Rollen». Privates Unterrichtsmaterial.
Die Kinder der DaZ-Gruppe sind ab dem ersten Augenblick begeistert. Nachdem sie dem Märchen ein erstes Mal gelauscht haben, suchen sie gemeinsam nach Adjektiven für alle Figuren. Aus diesen Adjektiven leiten sie dann ab, mit welcher Stimme die Figur sprechen soll. Zudem überlegen sie für jede Figur ein einfaches Requisit. Der Adler erhält z.B. eine Feder. So können mehrere Kinder dieselbe Rolle lesen. Sie müssen jeweils nur das passende Requisit bei sich haben.
Rolle | Lesetext | |
Erzähler / Erzählerin | Agim steckte die drei Fuchshaare ein und wanderte weiter. Am nächsten Morgen kam er in die Stadt. Da erzählten ihm die Leute von der wunderschönen und klugen Prinzessin Ardita. Dass die Prinzessin heiraten solle, aber nur einen Mann wolle, der sich so gut verstecken könne, dass sie ihn nicht finde. | |
Agim | Ich will auch mein Glück versuche. Ich gehe schnell zum Königsschloss. | |
Erzähler / Erzählerin | Prinzessin Ardita freute sich, als sie Agim sah, denn Agim war ein schöner, junger Mann. | |
Prinzessin Ardita | Ich gebe dir drei Tage Zeit, um dich zu verstecken. Nach dieser Frist werde ich dich suchen. Versteck dich gut! |
Tabelle zur Charakterisierung der Rollen. Privates Unterrichtsmaterial.
Eine albanisch sprachige Mutter ist bereit, das Märchen in Albanisch vorzulesen und aufzunehmen (zum Anfang von Prinzessin Ardita in Albanisch). So können alle Kinder, die wollen, das Märchen auch in der Originalsprache hören.
In den folgenden Wochen üben die Kinder, ihre Textabschnitte zu lesen – laut vor anderen Kindern, leise für sich, in unterschiedlichen Stimmen. Sie geben sich gegenseitig Rückmeldung, um sich zu verbessern. Am Schluss gilt es noch, die einzelnen Teile zusammenzusetzen und die Requisiten im richtigen Moment weiterzugeben. Am Leseabend selbst brillieren die Kinder. «Ich fand es enorm schön, zu sehen, wie sich das intensive Üben gelohnt hat und die Kinder fast perfekt vorgelesen haben. Besonders gefreut hat mich, dass sie ihr Können ihren eigenen und allen anderen Eltern zeigen konnten. Ich glaube, das hat sie sehr stolz gemacht.» (DaZ-Lehrerin 3. Klasse).
Indem die Lehrperson offen fragt, wie die Kinder zu Hause Ostern feiern, haben alle Kinder die Möglichkeit von sich zu erzählen. Evtl. kommt dabei heraus, dass in unterschiedlichen Ländern auch unterschiedlich gefeiert wird. Oder es kommen Gemeinsamkeiten zum Vorschein. Oder die Kinder erzählen von unterschiedlichen Ritualen im selben Land. Dadurch ermöglicht die Lehrperson, Vielfalt zu erfahren, ohne im Voraus kulturelle Grenzziehungen zu machen.
Sind Kinder von anderen Glaubensrichtungen in der Klasse, können Lehrpersonen nach ähnlichen Festen in den jeweiligen Religionen fragen. Auch hier eigenen sich offene Fragen sehr gut, damit die Kinder selbst entscheiden können, inwieweit sie ihr Wissen und ihre Erfahrungen einbringen möchten.
Die Autorin Silvia Hüsler weist im Zusammenhang mit der albanischen Sprache darauf hin, dass sich diese in den verschiedenen Gegenden von Kosovo und Nord-Mazedonien unterschiedlich entwickelt habe. Der Text im Buch wurde von einem Professor für albanische Sprache aus Albanien lektoriert. Auch wenn der Text nun perfekt ist, ist es gut möglich, dass Kinder und Eltern mit albanischer Erstsprache einzelne Begriffe anders kennen. Dieses Hintergrundwissen – das auch für andere Sprachen zutreffen kann – ermöglicht Lehrpersonen, adäquat auf mögliche Hinweise von Kindern und Eltern zu reagieren. Das Beispiel zeigt, wie komplex Sprachen sind und dass sie sich immer wieder verändern. Umso wichtiger ist es, den verschiedenen Sprachen und Varietäten offen und unvoreingenommen zu begegnen.
Lehrpersonen haben selbstverständlich auch die Möglichkeit, aktiv auf diese Veränderungen und unterschiedlichen Verwendungen hinzuweisen. Möglicherweise ergeben sich daraus spannende Gespräche mit den Schülerinnen und Schülern.
Im Beispiel von Prinzessin Ardita weist die Lehrerin mit dem Einbezug des Märchens darauf hin, dass Märchen auch ausserhalb des deutschen Sprachraumes eine Tradition haben. Die albanische Sprache selbst wird hingegen nicht gross thematisiert. Mit dem Bilderbuch wäre ein stärkerer Einbezug durchaus möglich. So könnten Lehrpersonen beispielsweise weitere Begriffe oder Sätze in den deutschsprachigen Text integrieren. Ganz besonders eignen würde sich folgender Reim, der im Märchen in kleinen Variationen mehrmals wiederholt wird (zur Aufnahme in Albanisch).
«Fisch, mein Fisch
schwimm schnell zurück
bring mir Hilfe
bring mir Glück.»
«Peshk, o peshk
nisu shpejt me not
më ndihmo e më sjell fat.»
Aus: «Prinzessin Ardita», Zweisprachiges Bilderbuch von Silvia Hüsler und Mahir Mustafa, © 2001 Lehrmittelverlag Zürich, S. 6f.
Website von Silvia Hüsler
www.silviahuesler.ch
Website Lehrmittelverlag Zürich
www.lmvz.ch
Baobab Books, Basel
baobabbooks.ch (zweisprachige Bücher)
baobabbooks.ch Unterrichtsmaterialien
Institut für Interkulturelle Kommunikation: Zweisprachige Märchen
www.iik.ch
Abbatiello, A. (2008).
Das Allerwichtigste. Το πιο σημαντικό. München: Edition bi:libri.
Unterrichtsplanung zu «Wer hilft dem Osterhasen?»
Auf der Website des Lehrmittelverlags Zürich steht die Geschichte «Wer hilft dem Osterhasen» in 23 Sprachen als pdf zum Herunterladen zur Verfügung. Ein weiteres pdf enthält Bastelideen inkl. Anleitungen.
Die Audio-CD zum Buch in verschiedenen Sprachen ist ebenfalls beim Lehrmittelverlag Zürich erhältlich.
www.lmvz.ch
Online Lerneinheit Schreibpläne von Büchel 2022: https://tiny.phzh.ch/schreibplaene
Anfang von «Prinzessin Ardita» in Albanisch
Vers «Fisch mein Fisch» in Albanisch
Für Fragen zu «Wer hilft dem Osterhasen?»
Norma Zimmermann, Gemeindeschulen Schwyz
Für Fragen zu «Prinzessin Ardita»:
Dominique Braun,
Dozentin, PH Zug
Eine Schulkultur, die alle Sprachen ihrer Schülerinnen und Schüler anerkennt und wertschätzt, macht diese Sprachen sichtbar:
Eine Didaktik der Mehrsprachigkeit bezieht alle Sprachen der Schülerinnen und Schüler selbstverständlich mit ein. Sie ermöglicht ihnen Sprachbegegnungen und lässt sie über Sprache nachdenken:
Nicht-deutsche erstsprachliche Kompetenzen und jeweilige bildungssprachliche Fähigkeiten können auch in der Regelklasse gefördert werden, idealerweise in Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen des Unterrichts in heimatkundlicher Sprache und Kultur (HSK):