Lehrpersonen können sehr unterschiedlich mit ihren Schülerinnen und Schülern über Freizeiterlebnisse sprechen. Betrachten sie unterschiedliche Erlebnisse als normal, können sie mit dieser Haltung auch bzgl. Freizeiterlebnissen eine Klassenkultur gestalten, in der alle Kinder Anerkennung erfahren.
Text: Milena Bieri
Empfohlen für Zyklus 1 und 2
Das Erzählen von Freizeiterlebnissen stellt eine wertvolle Möglichkeit dar, sich auszutauschen, anderen Lebenssituationen zu begegnen und von den Mitschülerinnen und Mitschülern zu hören, was sie in ihrer Freizeit erleben. Viele Kinder erzählen gerne von ihren Freizeiterlebnissen. Dabei werden aber auch Unterschiede sichtbar: Während einige Kinder mit dem Flugzeug in die Ferien verreisen, besuchen andere Kinder Familienangehörige im Herkunftsland oder bleiben zu Hause, da ihre Eltern arbeiten müssen.
Diese Ungleichheiten können unterschiedlich bewertet werden und in Klassengesprächen zu Neid oder Gefühlen des «Andersseins» führen. Sie sollen weder ausgeblendet noch beschönigt werden. «Allerdings macht es für Kinder einen grossen Unterschied, wenn die Lehrperson mit Sorgfalt und Einfühlungsvermögen damit umgeht. Sie lebt den Schülerinnen und Schülern vor, dass all die verschiedenen Feriengestaltungen ihren Wert haben und dass allen mit Interesse und Zuwendung begegnet wird».(1) Folgend zeigen wir in zwei Beispielen auf, wie Lehrpersonen Sprechanlässe zur Freizeit gestalten können. Die hier beschriebenen Ideen sollen beispielhaft aufzeigen, dass unabhängig des gewählten Erzählformats, die Haltung der Lehrperson gegenüber unterschiedlichen Freizeiterlebnissen der Kinder von besonderer Bedeutung ist. Besonders wichtig ist es, dass die Lehrperson eine sensible Haltung einnimmt, und Aufgaben und Fragen wählt, an welchen möglichst viele Schülerinnen und Schüler anknüpfen können.
«Hast du in den Ferien ein Eis gegessen?» oder «Hast du in den Ferien Videogames gespielt?» sind Fragen, die im Schulzimmer der Klasse 3c zu hören sind. Die Kinder laufen kreuz und quer durch das Zimmer, halten bei Begegnungen mit anderen Kindern an und befragen sich gegenseitig zu den vergangenen Ferien. Ausgestattet ist jedes Kind mit einem Arbeitsblatt, auf dem es bei einem Ja den Namen der Gesprächspartnerin oder des Gesprächspartners in das entsprechende Feld einträgt. Wenn eine Gesprächspartnerin oder ein Gesprächspartner also in den Ferien lange wach bleiben durfte, dann trägt das Kind den entsprechenden Namen bei «durfte lange wach bleiben» ein.
Hat ein Kind eine waagrechte oder senkrechte Reihe vollständig mit Namen der Mitschülerinnen und Mitschüler ausgefüllt, ruft es laut «Bingo!». Das Kind berichtet dann kurz etwas über die Ferien der eingetragenen Kinder.
Im Kreis sprechen die Kinder und die Lehrperson über einzelne Fragen des Ferienbingos. So erfahren auch diejenigen etwas von den Ferien der Mitschülerinnen und Mitschüler, welche in der Spielphase nicht miteinander ins Gespräch gekommen sind. Im Sommerferien-Bingo hat die Lehrperson bewusst alltägliche Situationen aufgenommen und fragt nicht nach spektakulären Ferienerlebnissen. So können sich alle Kinder am Bingo gleichermassen beteiligen. Auch diejenigen Kinder, welche während der Ferienzeit zuhause geblieben sind, finden mögliche Anknüpfungspunkte. Dabei achtet die Lehrperson darauf, allen Erzählungen mit Interesse und Wertschätzung zu begegnen.
Die Kinder der Klasse 2c sitzen zu viert beieinander und erzählen sich Freizeiterlebnisse der vergangenen Woche, indem sie reihum würfeln. Für jede Zahl ist ein Satzanfang am Whiteboard projiziert, zu dem die Kinder ihr eigenes Erlebnis ergänzen. Bei der Nr. 1 steht beispielsweise: «Als mir langweilig war, habe ich…» oder bei der Nr. 2 «Am Dienstag nach der Schule…». Würfeln die Kinder mit der 6 den ‘Joker’, wählen sie selbst aus, was sie der Gruppe erzählen möchten. Nach einer gewissen Zeit wechseln die Gruppen und es beginnt eine neue Erzählrunde. Die Lehrperson schliesst die Sequenz mit einer Fragerunde im Kreis ab: «Wem war es in der vergangenen Woche einmal langweilig und was hat dieses Kind dann getan?». Die Kinder versuchen sich zu erinnern, wer in der Erzählphase etwas zu dieser Frage erwähnt hat, und erzählen im Kreis. Die Kinder werden so motiviert, ihren Mitschülerinnen und Mitschülern genau zuzuhören.
Auch in diesem Beispiel wählt die Lehrperson Satzanfänge, zu welchen möglichst viele Schülerinnen und Schüler etwas erzählen können. Zudem hat die Klasse Übung darin, unterschiedliche Freizeiterlebnisse der Mitschülerinnen und Mitschüler nicht zu werten. Dies einerseits durch das Vorbild der Lehrperson, welche alle Beiträge gleichermassen wertschätzt. Andererseits beschäftig sich die Klasse aber auch immer wieder mit Ideen für Freizeitbeschäftigungen. So sammeln die Kinder in der Klasse regelmässig Ideen für die Freizeit, die sie auf Post-its festhalten und anschliessend zuhause in ihrer Sammlung für Freizeitaktivitäten ergänzen. Hier ist der Lehrperson eine offene Haltung besonders wichtig. Sie nimmt bewusst auch Freizeitbeschäftigungen auf, die in der Schule möglicherweise als weniger wertvoll angesehen werden. So hat sich die Klasse beispielsweise mit dem Thema ‘Langeweile’ auseinandergesetzt. Es ist für alle Kinder klar, dass Langeweile etwas ‘Normales’ ist und dass man bei Langeweile auch einfach aus dem Fenster schauen oder auf dem Sofa liegen darf (siehe unten).
Bei allen Erzählformen in der Klasse spielt die Art der Fragen eine wichtige Rolle. Die Frage: «Wer von euch möchte erzählen, wohin ihr in die Ferien gefahren seid?» enthält implizit die Vorstellung, dass es «normal» ist, in den Ferien wegzufahren. Kinder, welche in den Ferien nicht weggefahren sind, können das Gefühl bekommen, irgendwie anders zu sein, nicht dazu zu gehören und schämen sich vielleicht, wenn sie kein spannendes Ferienerlebnis aus einem entfernten Land erzählen können.(2) Eine Möglichkeit, das zu vermeiden, ist es, die Frage offener zu stellen, damit sich alle Schülerinnen und Schüler in der Klasse angesprochen fühlen: «Wir haben uns während den zwei Wochen Osterferien nicht gesehen. Manche waren zu Hause, andere haben Verwandte besucht oder waren mit ihrer Familie unterwegs. Überlegt euch etwas, was ihr von euren Ferien erzählen möchtet.» Mit einer offeneren Frage fühlen sich alle Kinder angesprochen und die Lehrperson signalisiert, dass alle Erzählungen Platz haben.(3)
Solche Erzählungen bieten den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu erkennen, wie vielfältig die Lebenssituationen und Erfahrungen sind. Sie lernen, dass allen Erfahrungen mit Wertschätzung und Interesse begegnet werden kann, unabhängig davon, ob es sich um eine aufregende Flugreise in ein fernes Land oder um alltägliche Erlebnisse zu Hause handelt. Damit dies gelingt, ist es hilfreich achtsam zu sein und sich auch Werturteilen bewusst zu sein, damit implizite Wertungen wie «Oh, das ist ja toll, das war sicher schön dort» oder «Aber hast du auch noch etwas anderes gemacht?» unabsichtlich das Gegenteil vermitteln».(4) Weiter ist es hilfreich, bei vorstrukturierten Sprechanlässen wie beispielsweise im oben beschriebenen «Sommerferien-Bingo», bewusst Aktivitäten aufzunehmen, die aus Sicht der Schule vielleicht als weniger wertvoll gelten. Damit wird impliziten Wertungen schon etwas entgegengewirkt.
Vorgegebene Impulse oder Fragen wie in der beschriebenen Idee «Sommerferien-Bingo» ermöglichen es den Kindern, inhaltlich anzuknüpfen. Gerade Kinder, die das Gefühl haben, nichts Spannendes erzählen zu können oder immer die gleichen Freizeiterlenbisse zu berichten, bleiben in solchen Erzählsituationen stumm. Mit vorgegebenen fragen und Impulskarten finden alle Schülerinnen und Schüler einen Anknüpfungspunkt zum Erzählen. Auch in freien Erzählsituationen ist es hilfreich, Fragen zu stellen, an denen alle Kinder anknüpfen können, und die Kinder von einem einzelnen Ereignis erzählen zu lassen. Beispielsweise fordert die Lehrperson die Kinder dazu auf, von einer Entdeckung oder einer Beobachtung zu erzählen. Dabei ist es wertvoll, wenn die Lehrperson darauf hinweist, dass es sich um etwas handeln kann, was die Kinder zu Hause, auf dem Spielplatz oder auch unterwegs erlebt haben. Oder die Lehrperson weist darauf hin, dass es sich um etwas aus einem Buch, Film oder einem Spiel handeln darf.(5) Dadurch können alle Schülerinnen und Schüler partizipieren.
In der beschriebenen Idee «Erzählwürfel» strukturieren die Satzanfänge die Erzählungen der Schülerinnen und Schüler stärker. Solche Strukturierungen können auch im Erzählkries hilfreich sein. Denn in solchen Erzählsituationen ist es für viele Kinder unterstützend, auf Satzanfänge und Satzstrukturen zurückzugreifen. Diese legt die Lehrperson im Kreis oder am Whiteboard oder der Wandtafel für alle Schülerinnen und Schüler gut sichtbar auf. Diese sogenannten «Scaffolds» unterstützen die Schülerinnen und Schüler beim Erzählen. Mehr zum Thema «Scaffolds» finden Sie hier.
Lehrpersonen und Kinder können auch gemeinsam Ideen für die Freizeitgestaltung an Wochenenden und in den Ferien sammeln. Die Kinder halten die Ideen auf einem Plakat fest, das sie anschliessend mit nach Hause nehmen dürfen. So dienen diese Ideen immer wieder als Inspiration für regnerische Tage oder Momente der Langeweile. Die Kinder haben Freude daran, der Klasse nach dem Wochenende zu erzählen, was sie von der Liste ausprobiert haben. In den Erzählrunden hören die Schülerinnen und Schüler neue Ideen für die eigene Liste, die sie zu Hause weiterführen. Auch hier ist es wichtig, dass auch ganz alltägliche Ideen Platz finden, die für alle Schülerinnen und Schüler umsetzbar sind. So findet sich auf dem Plakat neben dem Museumbesuch auch die Idee «einfach mal aus dem Fenster schauen und beobachten».
Vor den Ferien können Lehrpersonen Anregungen für die künftige Feriengestaltung vermitteln, indem sie Kinder und Eltern auf Freizeitangebote aufmerksam machen (Lager, «Ferienpass» oder andere öffentliche und günstige Freizeitangebote). (6)
(1) Mantel et al., 2019, S. 39
(2) vgl. Mantel et al., 2019, S. 39
(3) vgl. ebd.
(4) Mantel et al., 2019, S. 40
(5) vgl. Mantel et al., 2019, S. 40
(6) vgl. Mantel et al., S. 40
Worddateien
Mantel, C. et al. (2019). Auf den zweiten Blick: eine Sammlung von Fällen aus dem Schulalltag zum Umgang mit migrationsbezogener Vielfalt: ein Handbuch für Lehrpersonen im 1. und 2. Zyklus. 1. Auflage. Bern: hep, der Bildungsverlag. Print.