Lehrpersonen können die Sprachenvielfalt ihrer Klasse aufnehmen, indem sie im Unterricht unterschiedliche Schriftsysteme thematisieren. Dazu ermöglichen sie den Kindern, sich sowohl forschend als auch gestaltend mit verschiedenen Schriften auseinanderzusetzen. Jüngere Kinder lassen sie beispielsweise die Vornamen der Klasse in verschiedenen Schriften erkunden.
Text: Dominique Braun
Empfohlen für Zyklus 1 (ab 2. Jahr), 2 und 3
Unterwegs in Detektiv-Teams erforschen die älteren Kinder eines Kindergartens ihre Vornamen in verschiedenen Schriftsystemen und entdecken so die Vielfalt an Schriften in ihrer Klasse.
In einem ersten Schritt vergleichen die Kinder die Vornamen in lateinischer Schrift.
Welche Namen haben denselben Anlaut?
Welche Namen enden mit demselben Laut?
Welche Namen beginnen mit demselben Buchstaben?
Welche Namen enden mit demselben Buchstaben?
Wie viele Buchstaben hat mein Name?
Im zweiten Schritt stellt die Kindergartenlehrperson den Kindern alle Namen in verschiedenen Schriften zur Verfügung. Diesmal bilden Kinder ein Detektiv-Team, die einen Vornamen mit demselben Anlaut besitzen. So versuchen sie, ihren eigenen Vornamen in den verschiedenen Schriften zu entdecken.
Wiederum leiten verschiedene Fragen ihre Erkundungen:
Welches könnten unsere Namen sein?
Bleibt der gleiche Anlaut aus der lateinischen Schrift überhaupt in allen Schriftsystemen der gleiche?
Bleibt die Anzahl Zeichen gleich?
Finden wir weitere Gemeinsamkeiten oder Unterschiede?
Die Fragen sind anspruchsvoll. Es geht aber nicht um richtige oder falsche Antworten. Auch nicht darum, dass die Kinder ein Schriftsystem verstehen. Zentral bei dieser Idee ist, dass Kinder die Vielfalt an Schriften entdecken, dass sie erkennen, dass die lateinische Schrift nicht die einzige ist. In den Gesprächen stellen sie fest, dass sich neben den Symbolen sogar die Schriftrichtung ändern kann.
«Ich wollte, dass die Kinder erkennen, dass die Form sich verändert, der Inhalt aber derselbe bleibt.»
Lehrerin Kindergarten
Um zu dieser Vielfalt an Schriften zu kommen, hat die Lehrerin mit den Eltern zusammengearbeitet. Sie waren gerne bereit, die Namen der Kinder ins Schriftsystem ihrer Erstsprache zu übersetzen. So waren alle Vornamen in Kyrillisch, Griechisch, Chinesisch, Japanisch (Katakan und Hiragana) sowie Arabisch vorhanden. Im Gespräch mit den Kindern ist für die Lehrperson nebensächlich, welche Eltern was geschrieben haben. Damit verhindert sie, dass sie als Lehrperson Kinder und Eltern auf einzelne Schriften festlegt. Im Zentrum steht die Vielfalt. Und die Kinder können selbst entscheiden, ob sie auf eine ihnen bekannte Schrift reagieren wollen. Einzelne tun das erfreut: «Ah, das hat mein Papi geschrieben!»
Nun geht es ans Handwerk. Die Kinder probieren die verschiedenen Schriften aus. Sie schreiben ihren Namen mit unterschiedlichen Stiften ab, schreiben ihn in den Sand, mit nassem Schwamm oder Kreide an die Wandtafel, fahren mit dem Finger durch Rasierschaum auf einem Spiegel, nutzen Fingerfarben und Pinsel oder sie modellieren einzelne Schriftzeichen.
Auch hier stellt die Lehrperson Fragen:
In welchem Schriftsystem gefällt dir dein Name besonders gut?
Warum?
Welche Schrift ist besonders schwierig zu schreiben?
«Die Kinder hatten eine Vorstellung davon, was ihnen gefällt. Sie konnten es aber nicht begründen.»
Lehrerin Kindergarten
Beim Ausprobieren der Schriften trainieren die Kinder ihre feinmotorischen Fähigkeiten. Durch das Gespräch weist die Lehrerin aber auch in dieser Phase immer wieder auf die Vielfalt, auf Gemeinsamkeiten und Unterschiede hin. Für solche Gespräche eignet sich eine gemeinsame Betrachtung der Produkte besonders gut.
Wenn Lehrpersonen verschiedene Schriften thematisieren, sollten sie darauf achten, dass sie ein Kind nicht durch die Zuschreibung zu einer spezifischen Schrift zu etwas Besonderem machen. Viele Kinder möchten möglichst so sein wie ihre Klassenkameradinnen und Klassenkameraden (vgl. dazu die Hintergrundinformationen zu Diversität). Lehrpersonen verhindern solche Zuschreibungen, wenn die Kinder von sich aus entscheiden können, inwiefern sie ihr Wissen einbringen wollen und welche Schrift sie ausprobieren. Sie dürfen die Schrift ihrer Erstsprache erforschen und schreiben. Sie dürfen sich aber auch mit anderen Schriften auseinandersetzen. Ein solches Vorgehen eröffnet allen Kindern eine vielfältige Auseinandersetzung, auch denjenigen, die hauptsächlich mit dem lateinischen Schriftsystem vertraut sind.
Eltern sind eine wichtige Quelle, wenn es darum geht, die Vornamen in verschiedenen Schriftsystemen zur Verfügung zu haben. Wie das obige Beispiel zeigt, reagieren viele Eltern positiv auf entsprechende Anfragen. Trotzdem sollten Lehrpersonen mit der notwendigen Sensibilität auf Eltern zugehen und sich beispielsweise bewusst sein, dass nicht alle Eltern zwingend in ihrer Erstsprache alphabetisiert sind.
Der Vergleich der verschiedenen Schriftsysteme ist anspruchsvoll, insbesondere da im zweiten Kindergartenjahr längst nicht alle Kinder lesen können.
Forschungsfragen, wie sie oben beschrieben werden, unterstützen die Kinder in ihren Erkundungen. Lehrpersonen vereinfachen den Prozess, wenn sie nicht alle Schriften gleichzeitig einführen. Oder sie lassen die Schriften von den Kindern zuerst ordnen, um schon mal auf ähnliche Symbole aufmerksam zu machen. Vielleicht spürt die Klasse einer Schrift im ersten Schritt gemeinsam nach. Im zweiten Schritt erforschen die Kinder dann in Detektiv-Teams eigenständig weitere Schriften.
Damit die Kinder sich den verschiedenen Schriften tatsächlich forschend und entdeckend annähern können und sich Aha-Erlebnisse einstellen, braucht es genügend Zeit. So hat die Erfahrung gezeigt, dass die Schülerinnen und Schüler immer mehr entdeckten, je länger sie sich mit den Schriften auseinandersetzten. Arbeiten die Kinder zudem in kleineren Gruppen, erhöht dies ihre Aktivität.
Dominique Braun
Dozentin, PH Zug
Eine Schulkultur, die alle Sprachen ihrer Schülerinnen und Schüler anerkennt und wertschätzt, macht diese Sprachen sichtbar:
Eine Didaktik der Mehrsprachigkeit bezieht alle Sprachen der Schülerinnen und Schüler selbstverständlich mit ein. Sie ermöglicht ihnen Sprachbegegnungen und lässt sie über Sprache nachdenken:
Nicht-deutsche erstsprachliche Kompetenzen und jeweilige bildungssprachliche Fähigkeiten können auch in der Regelklasse gefördert werden, idealerweise in Zusammenarbeit mit den Lehrpersonen des Unterrichts in Heimatlicher Sprache und Kultur (HSK):