Eine Gruppe von Schülerinnen und Schülern schliesst sich zu einer Arbeitsgruppe zusammen. Mit vielen unterschiedlichen Projekten sensibilisieren sie die Schulgemeinschaft für die vorhandene Vielfalt an der Schule und engagieren sich gegen Diskriminierung.

Text: Dominique Braun

Empfohlen für Zyklus 2 und 3

Beschreibung der Idee

Feiertage unterschiedlicher Religionen

Es ist Weihnachtszeit. Ein Weihnachtsbaum schmückt die Eingangshalle der Brecht-Schule in Hamburg. Ein Channuka-Leuchter ziert den Empfangstresen des Sekretariats. An der Wand hängt ein Banner mit der Aufschrift: «Hanukkah Sameah & Frohe Weihnachten». Schülerinnen und Schüler der Vielfalt-AG machen mit diesen Symbolen auf die vielfältigen Religionsbezüge an der Schule aufmerksam. Denn im Jahr 2022, als diese Aktion stattfindet, fällt der Beginn von Chanukka (jüdisches Lichterfest) auf den 4. Advent. Im Laufe des Jahres hat die Vielfalt-AG auf Stellwänden und auf der Webseite der Schule immer wieder auf Feiertage aus unterschiedlichen Weltreligionen und auf Traditionen aus unterschiedlichen Regionen der Welt hingewiesen. Sie haben sich dabei am Interkulturellen Kalender orientiert.

Geschmückter Weihnachtsbaum, Banner und Ausschnitt Stellwand. Aufnahmen Brecht-Schule
Geschmückter Weihnachtsbaum, Banner und Ausschnitt Stellwand. Aufnahmen Brecht-Schule
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Die Arbeitsgruppe möchte damit erreichen, dass sich die Schulgemeinschaft über wichtige Feiern von unterschiedlichen Schülerinnen- und Schülergruppen bewusst ist. Es geht darum, dass man sich gegenseitig stärker wahrnimmt. «Wenn man über die Feiertage Bescheid weiss, kann man die Kinder auch mal darauf ansprechen und sie fragen, wie sie ein bestimmtes Fest erlebt haben», sagt Eva Pruss Romagosa, Leiterin der Vielfalt-AG und Interkulturelle Koordinatorin an der

Schule (1).Im Frühling 2024 startet die Vielfalt-AG eine ähnliche Aktion. Auf der Webseite der Schule wünscht sie allen fröhliche Festtage, denn im März und April 2024 finden gleich mehrere wichtige Feiertage aus verschiedenen Religionen statt.

Vielfalt-AG an der Brecht-Schule

Die Arbeitsgruppe besteht aus 15 bis 20 Schülerinnen und Schülern. Sie ist seit 2021aktiv und hat in dieser Zeit sehr viele und sehr unterschiedliche Projekte initiiert und umgesetzt. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe setzen sich mit unterschiedlichen Themen zu Diversität und insbesondere zu Diskriminierung auseinander. In den unterschiedlichen Projekten sensibilisieren sie ihre Mitschülerinnen und Mitschüler und engagieren sich so für eine diskriminierungsfreie Schule und Gesellschaft. Dabei eignen sie sich viel inhaltliches Wissen an. Gleichzeitig erweitern sie ihre überfachlichen Kompetenzen, z.B. ihre Auftrittskompetenz. Und sie lernen, was es alles braucht, um ein Projekt zu planen und durchzuführen.
 

Das hohe Engagement und die grosse Motivation sind in den Schilderungen deutlich spürbar. Eine Delegation der AG berichtet uns anlässlich einer Bildungsreise nach Hamburg von ihrer Arbeit. Manchmal blieben sie nach Unterrichtsschluss noch lange in der Schule, insbesondere zu Spitzenzeiten eines Projekts. Sie würden nicht warten, bis ein Projekt zu Ende sei, um dann das nächste zu überlegen. Im Gegenteil, meist würden mehrere Projekte parallel laufen. Die lange Liste der umgesetzten Projekte ist eindrücklich. Dass sie etwas bewirken können, lässt sie viel Selbstwirksamkeit erfahren und motiviert sie immer wieder aufs Neue. Ihr Engagement wird auch im Zeugnis vermerkt, allerdings nicht in Form einer Note. Es sei wichtig, dass die Mitwirkung nicht Teil der übrigen Leistungsbeurteilung sei, betont die Leiterin der Vielfalt-AG.

Flashmob gegen Krieg

Als der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ausbricht, wollen auch die Mitglieder der Vielfalt-AG ein Zeichen gegen Krieg setzen. Sie organisieren einen Flashmob auf dem Pausenplatz.
Gemeinsam mit Schülerinnen und Schülern ab der 7. Klasse formen sie ein riesiges Peace-Zeichen und erstellen einen Film der Aktion. Der Flashmob richtet sich dabei nicht nur gegen diesen spezifischen Krieg, sondern gegen alle Kriege auf der Welt.

Sensibilisierung zu Antisemitismus

Ein wichtiges Thema für die AG ist die Auseinandersetzung mit dem Holocaust. Ausschlaggebend war die Wanderausstellung «Die Kinder vom Bullenhuser Damm». Diese schildert das Schicksal von 20 jüdischen Kindern, die am 20. April 1945 in ihrer Schule am Bullenhuser Damm ermordet wurden.(2) Diese Schule befindet sich in unmittelbarer Nähe zur Brecht-Schule. Die Mitglieder der Vielfalt-AG liessen sich zu Peer-Guides der Wanderausstellung ausbilden und führten danach ihre Mitschülerinnen und Mitschüler durch die Ausstellung. Das Thema beschäftigte sie nach der Ausstellung weiter. So schufen sie in intensiver Arbeit gemeinsam mit einem Künstler ein Mahnmal in Erinnerung an die Kinder vom Bullenhuser Damm. Für ihr Engagement erhielt die Gruppe mehrere Preise und ein grosses Medienecho (vgl. Materialien und Links weiter unten).


Mahnmal in Erinnerung an die Kinder vom Bullenhuser Damm. Aufnahme Brecht-Schule
Mahnmal in Erinnerung an die Kinder vom Bullenhuser Damm. Aufnahme Brecht-Schule

So kann es gelingen

Motivation

Damit sich Schülerinnen und Schüler in einer Vielfalt-AG engagieren, brauchen sie ein grundsätzliches Interesse an Themen der Diversität. Auch eine wertschätzende Rahmung sei wichtig, meint Eva Pruss Romagosa. Dazu gehört, dass die Lehrpersonen die Ideen der Schülerinnen und Schüler aufnehmen und sie in ihren Vorhaben unterstützen. Das hohe Commitment der Schulleitung motiviert zusätzlich.
 

Zu Beginn sei ein Impuls der Lehrpersonen wichtig gewesen, erinnert sich die Leiterin der Vielfalt-AG. Und dann gehe es immer darum, etwas Konkretes umzusetzen. Dadurch sei die AG auch innerhalb der Schule und gegen aussen sehr präsent, was weitere Schülerinnen und Schüler motiviere, in der AG mitzuwirken.

Themen der Diversität

Themen der Diversität anzusprechen und vorhandene Diskriminierungen aufzuzeigen, braucht Mut. Wenn man Angst habe vor Widerständen, führe dies dazu, dass man nichts mache. Man müsse bereit sein, sich diesen Widerständen zu stellen.
 

Die Verantwortlichen der IKO-Weiterbildung machen zudem die Erfahrung, dass man mehr Menschen überzeugen und mitnehmen kann, wenn man die Diversitätsdimensionen öffnet. Einige interessierten sich für Gender-Themen, andere für Kinderrechte und wieder andere für Antirassismus.

Eva Pruss Romagosa erlebt in ihrer Arbeit zudem, dass bestimmte Inhalte besser von Peer zu Peer vermittelt werden können als durch Lehrpersonen. Das sei weniger belehrend. Möglicherweise wirken Gleichaltrige in ihrem Engagement sehr authentisch und werden dadurch ernster genommen.
 

Sich engagieren und gleichzeitig akzeptieren, dass sich nicht alle gleichermassen für diese Themen einsetzen wollen, ist die grosse Kunst. «Wenn jemand nicht mitmachen will und nicht interessiert ist, muss ich das akzeptieren. Ich kann diese Person nicht verändern. Ich selbst kann es aber trotzdem machen.»
Diesen Satz hören wir in Hamburg sinngemäss gleich mehrmals.

Begleitung

Ein Team von sechs Lehrpersonen unterstützt die Vielfalt-AG in der Umsetzung ihrer Ideen. Diese Unterstützung sei wesentlich. Die Lehrpersonen helfen beispielsweise dabei, notwendiges Material zu beschaffen oder wichtige Kontakte zu knüpfen. Auch sind die Schülerinnen und Schüler über ihre Projekte z.T. mit Dingen konfrontiert, die sie nicht kennen. So hat die Gestaltung des Mahnmals ein grosses Medienecho ausgelöst und sie mussten erstmal lernen, wie man Medienschaffenden am besten begegnet.
 

Die beschriebenen Projekte stammen aus der Vielfalt-AG mit Jugendlichen ab 14 Jahren. Seit dem Schuljahr 23/24 besteht an der Schule noch eine Gruppe mit Jugendlichen von 11 bis 13 Jahren, da sich die Themen je nach Alter etwas unterscheiden. Die Jüngeren haben sich v.a. mit der Kolonialgeschichte Hamburgs auseinandergesetzt. Wollen Schulen eine solche Arbeitsgruppe gründen, müssen sie die Themen gegebenenfalls etwas anpassen.  Zudem sind jüngere Schülerinnen und Schüler auf eine umfassendere Unterstützung angewiesen.

  1. (1) Interkulturelle Koordinatorinnen und -koordinatoren (IKO) sind Lehrpersonen, die an ihrer Schule Massnahmen für eine diversitätsbewusste Schulentwicklung initiieren und durchführen. Die Qualifizierung der Lehrpersonen erfolgt in einem zweijährigen Weiterbildungsgang und wird vom Landesinstitut für Lehrerbildung (LI) und Schulentwicklung (Beratungsstelle Interkulturelle Erziehung) und der Koordinierungsstelle Weiterbildung und Beschäftigung e.V. (KWB) gemeinsam durchgeführt (vgl. https://www.kwb.de/IKO-100260).

  2. (2) vgl. Pruss Romagosa, E. (2022), S. 19.

Materialien und Links

Verwendete Literatur

Pruss Romagosa, E. (2022). «Die Kinder vom Bullenhuser Damm» - Eine Wanderausstellung mit Folgen. Hamburg macht Schule. Antisemitismus. Ein Thema in und für Schulen, 03, 16–19.

Kontakt

Dominique Braun, Dozentin PH Zug
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