Die Beziehungen zwischen den Personen einer Schule prägen die Schulkultur. Um diese Beziehungen zu pflegen und zu stärken, hat die Schule Hitzkirch das Projekt «Schulfamilien» eingeführt. Wir zeigen hier, was die Kinder an einem Vormittag in den Schulfamilien erleben und welche Überlegungen hinter diesem Konzept stecken.
Text: Milena Bieri
Empfohlen für Zyklus 1 und 2
Der Vormittag in den Schulfamilien startet in den Stammklassen. Heute sind wir zu Besuch bei Ursi Salzmann. Sie ist Kindergartenlehrperson und leitet das Projekt «Schulfamilien». Frau Salzmann begrüsst ihre Kindergartenkinder und stimmt sie auf den Vormittag in den Schulfamilien ein. Am Vortag hat sie jedem Kind eine Zahl auf den Handrücken geschrieben, damit sich alle merken können, in welcher Schulfamilie sie am kommenden Vormittag sein werden. Frau Salzmann stellt nun nochmals sicher, dass alle Kinder wissen, in welche Schulfamilie sie gehören. Und sie fragt nach, ob sie etwas mitnehmen müssen, etwa Finken, Etui oder eine Ausrüstung für den Wald. Dann machen sich alle auf den Weg zum Pausenplatz. Die Kinder finden ihre Schulfamilie schnell, denn jede Gruppe hat eine eigene Flagge.
Frau Salzmann begrüsst ihre Schulfamilie und gibt das Programm des Vormittags bekannt. Gemeinsam mit einer anderen Schulfamilie spielen sie auf dem Pausenplatz ein paar Spiele. Da bald Ostern sind, handelt es sich um verschiedene Osterstafetten und um eine Schnitzeljagd, bei der die Kinder versteckte Osterhasen suchen.
Anschliessend geht das Programm getrennt weiter. Die Schulfamilie von Frau Salzmann trifft sich im Kindergarten im Kreis. Dort erklärt die Lehrperson den weiteren Verlauf des Vormittags. Die Kinder können aus verschiedenen Angeboten aussuchen:
verschiedene Osterspiele
Osterbasteln
Arbeit am eigenen Schulfamilienheft: Hier halten die Kinder die verschiedenen Aktivitäten fest.
Sie malen und schreiben zum jeweiligen Schulfamilien-Vormittag und gestalten den Eintrag mit Fotos.
Die Kinder der Gruppe verteilen sich nach Belieben auf die verschiedenen Posten. Auch hier werden die Beziehungen gestärkt, indem die älteren Schülerinnen und Schüler die jüngeren unterstützen. Frau Salzmann zirkuliert und hilft, wo es nötig ist, ebenfalls.
Zwischen den Aktivitäten haben die Kinder immer auch die Möglichkeit für das freie Spiel. Da dürfen sie sich auch in altershomogenere Gruppen und nach ihren Interessen aufteilen. So spielen die kleineren Kinder an diesem Vormittag mit Lego und Fahrzeugen. Derweil verziehen sich die älteren Mädchen in die Familienecke, verkleiden sich und schwelgen in alten Kindergarten-Erinnerungen.
Zum Schluss treffen sich alle wieder im Kreis. Hier entdecken sie eine kleine Überraschung, die der Osterhase unter dem Stuhl versteckt hat. Nach einem gemeinsamen Abschlussspiel ist es bereits Mittag und Frau Salzmann verabschiedet ihre Schulfamilie.
Das Projekt «Schulfamilien» ist aus einer externen Evaluation heraus entstanden. Ziel ist, dass sich Kinder und Erwachsene auch an dieser grossen Schule möglichst niederschwellig kennenlernen und Beziehungen aufbauen können. Insbesondere bei jüngeren Kindern kann die grosse Pause Unbehagen auslösen, wenn sich viele Kinder auf dem Pausenplatz tummeln. Im Getümmel Gesichter zuordnen und sich an bekannte Personen wenden zu können, vermittelt Sicherheit.
Aktuell sind es 21 Schulfamilien mit je 10 bis 12 Kindern aus dem Kindergarten bis zur sechsten Klasse. Damit die Bezugspersonen konstant bleiben, ist möglichst eine Lehrperson das ganze Schuljahr für eine Schulfamilie zuständig. Die Schulfamilien treffen sich viermal pro Schuljahr und führen verschiedene Aktivitäten durch, wie gemeinsames Znüni zubereiten, backen, kochen, kleinere Ausflüge und Schnitzeljagden.
Die Kinder haben in den Schulfamilien stufenübergreifend Kontakt und Austausch mit anderen Kindern. Dadurch haben die Jüngeren ältere Ansprechpersonen in der Schule, für ein kurzes Gespräch vor der Schule, bei Unsicherheiten oder bei Streitereien in der Pause. «Gerade unsere Kleinsten profitieren sehr von den älteren Schülerinnen und Schülern in den Familien. Es kann für Kindergartenkinder enorm unterstützend sein, wenn sie ältere Kinder kennen und auf diese zugehen können», sagt der Schulleiter der Schule Hitzkirch.
Auch die Lehrpersonen, welche eine Schulfamilie betreuen, lernen durch das Projekt mehr Kinder aus verschiedenen Klassen und Stufen kennen. Auf dem Pausenplatz und in den Korridoren führen sie vermehrt Gespräche. Und sie kennen aus den meisten Klassen ein Kind, das sie bei Bedarf ansprechen können. Zudem tauschen sich die Lehrpersonen vermehrt klassen- und stufenübergreifend über Schülerinnen und Schüler aus.
Die gestärkten Beziehungen führen gemäss den Erfahrungen in der Schule Hitzkirch dazu, dass auf dem Pausenplatz oder nach Schulschluss weniger Streitigkeiten entstehen als früher. Kommt es doch zu Konflikten, ziehen die Schülerinnen und Schüler inzwischen auch Lehrpersonen bei, die sie aus den Schulfamilien kennen.
Das Projekt «Schulfamilien» stärkt somit das Zusammengehörigkeitsgefühl von Schülerinnen und Schülern sowie Lehrpersonen und unterstützt eine positive Schulkultur.
In der Schule Hitzkirch gestalten die Schülerinnen und Schüler die Planung der gemeinsamen Vormittage aktiv mit. Sie sammeln und diskutieren Ideen für mögliche Anlässe und helfen anschliessend bei der Organisation.
Das Recht auf Partizipation ist ein wichtiger Aspekt, wenn es darum geht, soziale Zugehörigkeit zu ermöglichen. Damit alle Schülerinnen und Schüler dieses Recht erhalten, braucht es zwei Dinge:
Formale Möglichkeiten der Partizipation wie z.B. ein Gefäss, in dem die Ideen gesammelt und diskutiert werden.
Ein pädagogisches Handeln, das die Schülerinnen und Schüler dabei unterstützt, die vorhandenen Möglichkeiten auch tatsächlich wahrzunehmen (1).
So suchen Lehrpersonen z.B. nach didaktischen Möglichkeiten, damit alle Kinder partizipieren können. Das können für eine Diskussion sprachliche Hilfestellungen sein. Oder sie nutzen für Meinungsäusserungen Instrumente, mit denen sich auch zurückhaltendere Kinder mitteilen können.
Das Projekt «Schulfamilien» hat zum Ziel, die Beziehungen und damit die Gemeinschaft innerhalb des Schulhauses zu stärken. Es ist nicht selbstverständlich, dass das gemeinsame Lernen in altersdurchmischten Gruppen auf Anhieb funktioniert. Auch hier ist die Unterstützung der Lehrpersonen wichtig. Diese kann in den Schulfamilien erfolgen, indem Lehrpersonen Ein- und Ausschlussprozesse beobachten und gegebenenfalls darauf reagieren. Sie kann aber auch im Voraus oder im Nachhinein erfolgen, indem die Lehrpersonen mit ihren Klassen über Erfahrungen in den Schulfamilien sprechen (vgl. dazu Gespräch zu Klassengemeinschaft).
In der Schule Hitzkirch hat sich bewährt, dass eine Person die Leitung und Organisation des Projekts übernimmt. Sie erstellt einen Jahresplan mit den verschiedenen Anlässen. An Teamsitzungen informiert sie über anstehende Veranstaltungen. Und sie ist Anlaufstelle für Fragen von Lehrpersonen. Die Leitung wird über den Schulpool entschädigt.
Die vier Anlässe während des Schuljahrs finden jeweils an unterschiedlichen Wochentagen statt. Damit ist gewährleistet, dass möglichst alle Lehrpersonen an mindestens einem Anlass anwesend sind. Idealerweise ist jeweils dieselbe Lehrperson während eines Schuljahres für eine Schulfamilie zuständig.
Die Erfahrung zeigt, dass sich klare Vorgaben lohnen. Dazu gehört z.B., dass die Anlässe möglichst einfach gestaltet sind und möglichst in der Nähe des Schulhauses stattfinden: gemeinsam etwas gestalten, gemeinsam kochen, ein Ausflug in die Natur usw.
Die Projektleiterin ist auch für die Gruppenzuteilung verantwortlich. In informellen Gesprächen mit den anderen Lehrpersonen klärt sie, ob es Konstellationen gibt, die noch verändert werden müssten. Grundsätzlich ist es ihr Ziel, die Gruppen möglichst konstant zu halten. Damit haben die Kinder mehr Zeit, um sich kennenzulernen und der Familiencharakter wird bewahrt. Werden die Kinder der 6. Klasse verabschiedet, rutschen zwei Kindergartenkinder nach.
Um das Projekt zu verstetigen, ist es wichtig, dass es einen festen Platz in der Schulagenda hat. In der Schule Hitzkirch gehören dazu die fixen Termine im Jahreslauf und regelmässige Informationen im Team. Zusätzlich sind die Schulfamilien in Rituale eingebunden. Sie gestalten beispielsweise ein Abschiedsgeschenk für die Kinder der 6. Klasse, das sie im Rahmen der Verabschiedung feierlich übergeben. Und schliesslich erfährt auch die Öffentlichkeit regelmässig über das Projekt, z.B. durch Berichterstattungen in der lokalen Zeitung oder auf der Schulhauswebseite.
Evaluationen als wichtiger Aspekt der Schulentwicklung ermöglichen, ein Projekt weiterzuentwickeln und zu verbessern. Die Schule Hitzkirch evaluiert das Projekt ca. alle drei Jahre. Dabei nimmt sich das Team bewusst Zeit über Ziele, Wirkung und Machbarkeit von «Schulfamilien» nachzudenken. Auch dies trägt zur Verstetigung bei. Das Team frischt wichtige Kernpunkte des Projekts auf und macht sie für neue Kolleginnen und Kollegen zugänglich. Die Bedeutsamkeit des Projekts für die Schule thematisiert die Schulleitung jeweils bereits am Bewerbungsgespräch.
(1) vgl. Helsper & Lingkost, 2002, S. 134f
Helsper, W. & Lingkost, A. (2002). Schülerpartizipation in den Antinomien von Autonomie und Zwang sowie Organisation und Interaktion - exemplarische Rekonstruktionen im Horizont einer Theorie schulischer Anerkennung. In B. Hafeneger, P. Henkenborg & A. Scherr (Hrsg.), Pädagogik der Anerkennung. Grundlagen, Konzepte, Praxisfelder. (S. 132-156). Schwalbach am Taunus: Wochenschau Verlag.
Sind Sie am Projekt «Schulfamilien» interessiert, erzählt Ihnen die Schule Hitzkirch gerne mehr dazu:
Ursi Salzmann, Projektleiterin «Schulfamilien», Schule Hitzkirch
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Sekretariat Schule Hitzkirch
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www.schulen-hitzkirch.ch
Milena Bieri, Wissenschaftliche Mitarbeiterin, IZB
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